Zum Inhalt springen

Die Illusionen des Kurzzeitgedächtnisses

    Die Wahrnehmung kann bekanntlich durch Erwartungen beeinflusst werden, was zu Wahrnehmungstäuschungen führen kann, wobei auch das Langzeitgedächtnis so geformt werden kann, dass es den Erwartungen entspricht, was dann zu falschen Erinnerungen führen kann. Im Allgemeinen wird jedoch davon ausgegangen, dass das Kurzzeitgedächtnis für Wahrnehmungen, die nur ein oder zwei Sekunden zurückliegen, die Wahrnehmungen genau so wiedergibt, wie sie zum Zeitpunkt der Wahrnehmung waren.

    Otten et al. (2023) konnten aber in vier Experimenten nun zeigen, dass Erwartungen auch Wahrnehmungsrepräsentationen auf kurzen Zeitskalen umgestalten können, was die Forscher als Illusionen des Kurzzeitgedächtnisses bezeichnen. Diese Illusionen traten dabei auf, wenn die Teilnehmer eine Gedächtnisanzeige sahen, die echte und Pseudobuchstaben – hier gespiegelte Buchstaben – enthielt. Innerhalb von Sekunden nach dem Verschwinden der Gedächtnisanzeige stiegen die Erinnerungsfehler mit hohem Vertrauen erheblich an. Diese Zunahme der Fehler im Laufe der Zeit deutet darauf hin, dass die Fehler mit hohem Vertrauen nicht nur aus einer falschen Wahrnehmungscodierung der Gedächtnisanzeige resultieren.

    Darüber hinaus traten Fehler mit hohem Vertrauen vor allem bei Erinnerungen an Pseudo-Buchstaben auf und viel seltener bei Erinnerungen an echte Buchstaben, was darauf hindeutet, dass die visuelle Ähnlichkeit nicht die Hauptursache für diesen Erinnerungsfehler ist. Stattdessen scheint Weltwissen, also welche Ausrichtung Buchstaben normalerweise haben, diese Täuschungen zu steuern.

    Diese Ergebnisse unterstützen eine prädiktive Sichtweise der Gedächtnisbildung und -erhaltung, bei der alle Gedächtnisphasen, einschließlich der Illusionen des Kurzzeitgedächtnisses, die Integration von Bottom-up-Gedächtnisinput mit Top-down-Vorhersagen beinhalten, so dass vorherige Erwartungen Gedächtnisspuren formen können. Diese Experimente haben daher eindrucksvoll gezeigt, dass illusorische Erinnerungen auch dann auftreten können, wenn die zu erinnernden Gegenstände gerade erst aus dem Blickfeld verschwunden sind



    Literatur

    Otten, Marte, Seth, Anil K. & Pinto, Yair (2023). Seeing Ɔ, remembering C: Illusions in short-term memory. Public Library of Science, 18, doi:10.1371/journal.pone.0283257.


    Impressum ::: Datenschutzerklärung ::: Nachricht ::: © Werner Stangl ::: Pädagogische Neuigkeiten für Psychologen :::

    Schreibe einen Kommentar

    Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert