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Gliazellen und deren Funktion

Gliazellen hatte man lange Zeit eine untergeordnete Rolle im Gehirn zugebilligt und nahm an, dass sie die eigentlichen Nervenzellen ernähren und vor mechanischen Verletzungen schützen. In den letzten Jahren kristallisiert sich jedoch mehr und mehr heraus, dass Gliazellen auch für die Informationsverarbeitung im Gehirn immens wichtig sind. Heute ist man ziemlich sicher, dass Gliazellen am Informationsaustausch nicht nur beteiligt sind, sondern sogar eine entscheidende Rolle auch bei so wichtigen höheren Hirnfunktionen wie Lernen und Erinnern besitzen. Die auf Neuronen fixierten Modellvorstellungen von der Funktionsweise des Gehirns lassen sich nicht mehr in dieser Form aufrechterhalten, sondern es muss ein Konzept der Informationsverarbeitung entwickelt werden, das die Gliazellen miteinbezieht .
Zahlreiche neuere Studien zeigen auch, dass Gliazellen als Stammzellen in bestimmten Gehirn-Regionen eine große Zahl neuer Nervenzellen auch noch im Erwachsenenalter erzeugen können – zumindest im Gehirn von Mäusen. Voraussetzung sind dafür funktionierende Kommunikationswege, damit Stammzellen im Gehirn über Gap Junctions miteinander kommunizieren können, also Kanäle, über die die Zellen ihre Botenstoffe austauschen. Fehlen bei erwachsenen Mäusen nämlich diese Kanäle, sinkt die Teilungsrate der Stammzellen um 90 Prozent, und die Zahl neuer Neuronen geht deutlich zurück.


[Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=lsaqFkkKKzY#t=469]

Umwandlung von Gliazellen in Neuronen als Hoffnung für die Parkinson-Krankheit

Bei degenerativen Erkrankungen wie der Parkinson-Krankheit zielen die meisten Behandlungsstrategien darauf ab, den Verlust von Nervenzellen zu verhindern oder anfällige neuronale Schaltkreise zu schützen. Qian et al. (2020) haben nun am Mausmodell eine mögliche Alternative aufgezeigt, verloren gegangene Nervenzellen zu ersetzen, um die unterbrochenen Schaltkreise zu rekonstruieren. Sie bedienten sich bei der Astrozyten, die im Gehirn den Raum zwischen den Nervenzellen ausfüllen. Astrozyten sind zwar nicht an der Signalweiterleitung beteiligt, stehen aber mit den benachbarten Nervenzellen vor allem im Bereich der Synapsen in engstem Kontakt. Die ForscherInnen waren dabei überrascht, wie einfach sich Astrozyten im Labor in Nervenzellen verwan­deln ließen. Der entscheidende Schalter war das RNA-binding protein PTB im Zellkern der Astrozyten, denn wurde PTBP1 durch ein Antisense-Oligonukleotid blockiert, ließen sich nicht nur Astrozyten, sondern auch Fibroblasten in Nervenzellen verwandeln, wobei die Astrozyten jeweils die Funktion der benachbarten Nervenzellen auf nahmen. Man injizierte das Antisense-Oligonukleotid direkt in die Region des Mittelhirns, wo der Ausfall der dopaminergen Neurone das Parkinson-Syndrom auslöst. Bei den behandelten Mäusen wandelte sich eine kleine Untergruppe von Astrozyten in Neurone um, wobei der Anteil der Neuronen in dieser Region um ungefähr dreißig Prozent zunahm. Der Dopaminspiegel war dabei auf ein Niveau gestiegen, das dem von normalen Mäusen vergleichbar war, und die neu gebildeten Neuronen sogar Axone ausgebildet, sodass es bei den am Morbus Parkinson erkrankten Tieren innerhalb von 3 Monaten nach der Behandlung zu einer Verbesserung der motorischen Funktionen gekommen ist. Auch wenn man noch weit weg von einer Anwendung bei Menschen ist, könnten sich langfristig neue Perspektiven für die Behandlung von Morbus Parkinson eröffnen.



Literatur

Institut für Zelluläre Neurowissenschaften der Universität Bonn
Nature Neuroscience, Vol. 7, Nr. 6, S. 613-620, http://www.nature.com/neuro
Qian, Hao, Kang, Xinjiang, Hu, Jing, Zhang, Dongyang, Liang, Zhengyu, Meng, Fan, Zhang, Xuan, Xue, Yuanchao, Maimon, Roy, Dowdy, Steven F., Devaraj, Neal K., Zhou, Zhuan, Mobley, William C., Cleveland, Don W. & Fu, Xiang-Dong (2020). Reversing a model of Parkinson’s disease with in situ converted nigral neurons. Nature, 582, 550-556.


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2 Gedanken zu „Gliazellen und deren Funktion“

  1. Fritjof Helmchen, UHZ

    Fritjof Helmchen versucht eine neue Theorie der Gedächtnisbildung zu entwickeln, wobei es darum geht, wie das Gehirn Eindrücke sowie Erfahrungen speichert und das Gedächtnis bildet. Im Zentrum der neuen Theorie stehen die Wechselwirkungen zwischen Neuronen und den Stütz- bzw. Gliazellen im Hippocampus, also jener Region tief im Innern der beiden Gehirnhälften, die für die Bildung des Gedächtnisses wichtig sind. Während sich die Gedächtnisforscher:innen bisher auf die Rolle der Neuronen konzentrierten, also der Nervenzellen, die elektrische Signale leiten und über Synapsen austauschen, wurden die Gliazellen eher als bedeutungslose Stützzellen abqualifiziert. Allerdings mehren sich die Hinweise, dass auch die Gliazellen – speziell die Astrozyten – mit Neuronen kommunizieren und zur Gedächtnisbildung beitragen. Diese neuen und weitgehend unerforschten Wechselwirkungen zwischen Neuronen und Astrozyten werden mit neusten Hightech-Methoden wie der Optogenetik und der 2-Photonen-Bildgebung analysiert, wobei die Analyse der Rolle der Astrozyten neue fundamentale Erkenntnisse zum Langzeit-Gedächtnis hervorbringen dürfte, da Störungen im Hippocampus, unter anderem im Astrozyten-Netzwerk, auch mit Demenz oder Epilepsie zusammenhängen. Diese Theorie kann auch die Entwicklung künstlicher Intelligenz und von Deep-Learning-Netzwerken befördern.
    Quelle: https://www.news.uzh.ch/de/articles/news/2023/helmchen-grant.html (23-08-30)

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