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Amok und Selbstmordattentäter

Menschen sind nicht prinzipiell ausgerichtet auf eine direkte gewalttätige Konfrontation sondern sie neigen dazu, sich zu arrangieren, was vermutlich fester Bestandteil unserer emotionalen Intelligenz ist. Darum ist es so schwer, in einer gewaltsamen Konfliktsituation zu handeln, wenn die andere Person einem direkt gegenüber steht. Damit Gewalt ausgeübt werden kann, müssen vom Einzelnen Barrieren überwunden werden. Es gibt im Wesentlichen drei Möglichkeiten. Die erste besteht darin, Gewalt aus der Ferne auszuüben (Bomben, Artillerie), um die direkte Gegenüberstellung mit dem Feind auszuschließem.
Die zweite besteht darin, sich auf ein einzelnes und im Wesentlichen widerstandsloses Opfer zu stürzen. Bei Massenausschreitungen wird der meiste Schaden von Randalierern sowie von Polizeikräften angerichtet, wenn eine Gruppe auf einen einzelnen zu Boden gegangenen Gegner einschlägt. Auch Schläger üben Gewalt meist nur dann aus, wenn ein ungleiches Kräfteverhältnis vorliegt. Die Wahrscheinlichkeit, dass Polizisten gewalttätig werden, ist am höchsten, wenn sie dem Verdächtigen zahlenmäßig weit überlegen sind. Im Krieg geschehen Massaker meist dann, wenn der Feind plötzlich passiv wird, wenn er etwa in einen Schockzustand gerät und zu einer Gegenwehr nicht mehr fähig ist. Bei dieser Gewaltform ist die psychologische Dominanz viel wichtiger als die physische. Im verkleinerten Maßstab kommt dieses Prinzip in den meisten Fällen von häuslicher Gewalt zur Anwendung.
Die dritte Methode dagegen ist die idealisierte, ehrenhafte Form der Gewalt als ein fairer, inszenierter Kampf. Man kämpft nach bestimmten Regeln und innerhalb einer Gruppe, die einen Ehrenkodex hat (Duellanten, Schulhofschläger, Sportler).
Heimliche, die direkte Konfrontation umgehende Gewalt in Form eines Selbstmordattentates ist die vierte Methode, um jene Gewalt vermeidenden Barrieren zu überwinden. Selbstmordattentäter stehen ihren Opfern gewöhnlich allein gegenüber, sie drohen ihren Gegnern auch nicht und versuchen auch nicht, sie psychologisch zu brechen. Ihre Taktik besteht vielmehr gerade darin, überhaupt keine Gewalt auszuüben, bis zum allerletzten Moment. Der Selbstmordattentäter hat einen taktischen Vorteil, weil er sich dem Opfer so nähert, als geschehe nichts Ungewöhnliches. Die sonst bei Konfrontationen aufkommende Anspannung fällt weg, weil der Täter so tut, als gäbe es keine Konfrontation.

Selbstmordattentate sind die effizienteste Gewaltform auf kurze Distanz, besonders auch deshalb, da es für einen konventionellen Bürger die am leichtesten auszuübende Gewaltform ist, wenn er sich schon dazu entschließt, überhaupt Gewalt auszuüben. Selbstmordattentäter sind oft stille, sanftmütign Mitglieder der Mittelschicht. Soziologen fanden im Zweiten Weltkrieg, dass nur zwischen 15 und 25 Prozent der Frontsoldaten ihre Waffe tatsächlich abfeuerten.
Gewalttätige Menschen sind nicht nur deshalb gewalttätig , weil sie in einem Umfeld aufwachsen, in dem die soziale Kontrolle fehlt, und sie sich in Gruppen bewegen, die einen Gewaltkodex fördern, sei es zu kriminellen Zielen oder zur Erhaltung der Selbstachtung. Kriminellen fällt der Umgang mit Gewalt keineswegs leichter als Soldaten oder Polizisten. Kriminelle üben sich meist in verbaler Einschüchterung, sie schießen meist unkontrolliert und wenn jemand getroffen wird, ist es oft ein Unbeteiligter und nicht das eigentliche Objekt ihrer Aggression.

Armin Schmidtke (Universität Würzburg) zeichnet ein recht genaues Bild von Amokläufern, die zwischen 16 und 30 Jahre alt, meist männlich sind und „gute“ Schulen besuchen. Im Elternhaus und auch von Freunden haben sie wenig Zuneigung erfahren, haben selten haben sie eine feste Freundin, vor allem sind Amokläufer übersteigert empfindlich gegenüber Kränkungen, verursacht durch Persönlichkeitsstörungen oder Psychosen, sind also gewissermaßen „Sammler von Ungerechtigkeiten„, die durch eine Kette von belastenden und kränkenden Ereignissen irgendwann nur noch die Alternativen Rache oder Tod sehen bzw. als Ausweg daraus den stillen Suizid oder den öffentlichkeitswirksamen Amoklauf, wobei das letzte, auslösende Ereignis dabei für Außenstehende oft nicht nachvollziehbar ist, denn das kann die Tasse Kakao sein, die ihm nicht hingestellt wurde. Ein weiterer Beweggrund ist die Nachahmung, denn mehr als die Hälfte aller Amoktaten findet in den zehn Tagen nach der Berichterstattung über ein Attentat statt. In den Medien sollte daher keine „Hitliste“ von Amoktaten abgedruckt werde und auch keine Trauerkultur wie ein Staatsakt veranstaltet werden. Nach Helmut Lukesch (Universität Regensburg sind auch Gewaltvideos oder sogenannte Killerspiele eine der Ursachen für Gewalttaten., wobei solche Medien nur Teil der relevanten Einflussfaktoren darstellen.

School Shootings sind oft im Gegensatz zum „echten“ Amok, der mit einer spontanen Reaktion verbunden ist, geplant und vorbereitet, bzw. viele dieser Fälle hatten Warnsignale im Vorfeld (Leaking) mit dem Potenzial, erkannt zu werden, und einige entstammen einem Nachahmungseffekt, denn die Täter beziehen sich häufig auf Täter vor ihnen. Bei den Tätern findet sich meist eine massive narzisstische Kränkung, also eine mangelnde Fähigkeit zur Selbstwertregulation. Narzissten brauchen Aufmerksamkeit von außen, sie brauchen etwas Besonderes, um sich zu erhöhen oder sich zu regulieren. Viele Täter haben einen sehr geringen Selbstwert, der so labil ist, dass sie häufig über Selbstmord oder Tod sprachen, verbunden mit Größenfantasien. Auffällig ist, dass hauptsächlich mittlere und höhere Bildungseinrichtungen von School Shootings betroffen sind., weil dort durch die vorwiegende Mittelschicht der Aufstiegsdruck höher ist und beim Scheitern Identität eher zu Bruch geht.

Siehe auch das Arbeitsblatt zu Amok

Quellen
http://www.fr-online.de/ (08-01-27
http://www.sueddeutsche.de/bayern/378/488771/text/ (09-09-25)




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2 Gedanken zu „Amok und Selbstmordattentäter“

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