Das menschliche Gehirn ist trotz seiner eingeschränkten Fähigkeit zur Regeneration in der Lage, Funktionsverluste, wie sie durch altersbedingtes Absterben von Nervenzellen oder neurodegenerative Erkrankungen verursacht werden, überraschend gut zu kompensieren. Besonders im Cortex, dem für höhere Denkfunktionen und Wahrnehmung zuständigen Teil der Großhirnrinde, ist die Bildung neuer Nervenzellen stark eingeschränkt. Dennoch bleibt die Funktion dieser Hirnregionen oft lange erhalten, selbst wenn bereits eine Vielzahl von Neuronen verloren gegangen ist. Eine aktuelle Studie von Noda et al. (2025) untersuchte die zugrunde liegenden Mechanismen dieser bemerkenswerten Resilienz.
Im Zentrum der Untersuchungen stand der auditorische Cortex von Mäusen, wobei man mithilfe einer Kombination aus Zwei-Photonen-Kalziumbildgebung und gezielter Mikroläsion von spezifisch auf Klang reagierenden Nervenzellen untersuchte, wie sich der Verlust von etwa 30 bis 40 Neuronen auf die Repräsentationskarte auswirkt, also jenes Aktivitätsmuster, das im Gehirn durch Schall entsteht und die Grundlage bewusster Geräuschwahrnehmung bildet. Zunächst zeigte sich nach dem neuronalen Verlust eine Destabilisierung dieser Karte, was auf eine empfindliche Balance im Netzwerk hindeutet. Doch nur wenige Tage nach dem Eingriff reorganisierte sich das neuronale Netzwerk überraschend schnell. Neuronen, die zuvor nicht auf akustische Reize reagierten, übernahmen die Rolle der zerstörten Zellen und etablierten ähnliche Aktivitätsmuster wie zuvor. Damit bestätigte sich die Hypothese eines plastischen Mechanismus, der die Integrität und Funktion neuronaler Repräsentationen erhält, selbst wenn Teile des Netzwerks verloren gehen. Diese Umverteilung von Aufgaben innerhalb des Netzwerks stellte die ursprüngliche Struktur der Repräsentationskarte weitgehend wieder her.
Auffällig war zudem, dass die Art der zerstörten Nervenzellen für den Verlauf der Erholung eine entscheidende Rolle spielte, denn während der Verlust exzitatorischer, also aktivierender Neuronen, rasch kompensiert wurde, führte die gezielte Ausschaltung inhibitorischer Nervenzellen zu langanhaltender Instabilität im Netzwerk, was wieder die Bedeutung einer fein austarierten Balance zwischen hemmenden und aktivierenden Einflüssen für die Stabilität neuronaler Systeme unterstreicht.
Beim Umgang mit neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson könnte die Fähigkeit zur neuronalen Reorganisation in Zukunft gezielt therapeutisch unterstützt werden, um Funktionsverluste im Krankheitsverlauf abzufedern oder zu verzögern.
Literatur
Noda, T., Kienle, E., Eppler, J.-B., Aschauer, D. F., Kaschube, M., Loewenstein, Y., & Rumpel, S. (2025). Homeostasis of a representational map in the neocortex. Nature Neuroscience, doi:10.1038/s41593-025-01982-7
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