Zum Inhalt springen

Geteilte Realität: Liebe kann Erinnerungen synchronisieren

    Anzeige

    In der Psychologie ist bekannt, dass das menschliche Gedächtnis kein starres Archiv, sondern ein hochdynamisches, rekonstruktives System ist. Eine Studie von Zhang et al. (2024)hat dieses Verständnis nun um eine faszinierende soziale Komponente erweitert, denn es zeigt sich, dass romantische Partner ihre Gedächtnisprozesse auf neuronaler Ebene synchronisieren. Dieses Phänomen führt zu einer Art gemeinsamen Vergessens, das eine kohärente gemeinsame Sicht auf die Welt fördert, jedoch auf Kosten individueller Detailgenauigkeit geht.

    Im Zentrum der Untersuchung stand das „socially shared retrieval-induced forgetting“ (SS-RIF). Während beim individuellen Erinnern das Gehirn aktiv Zielinformationen auswählt und konkurrierende Details unterdrückt, zeigte die aktuelle Studie, dass dieser Prozess in engen Beziehungen ansteckend wirkt. In zwei Experimenten verglichen die Forscher heterosexuelle Paare mit Paaren von Fremden. Es zeigte sich, dass Zuhörer in einer romantischen Beziehung dazu neigen, genau jene Details zu vergessen, die der erzählende Partner beim Berichten selektiv ausließ. Interessanterweise trat dieser Effekt bei einander Fremden nicht in signifikantem Maße auf, was darauf hindeutet, dass die Tiefe und Intimität einer Bindung die Art und Weise, wie Informationen verarbeitet werden, fundamental verändert.

    Um die biologischen Grundlagen dieser Verbindung zu entschlüsseln, nutzte man die funktionelle Nahinfrarotspektroskopie, eine zerstörungsfreie Analysetechnik, die nahinfrarotes Licht (780–2500 nm) nutzt, um die chemische Zusammensetzung von Materialien anhand der Anregung von Molekülschwingungen zu bestimmen, indem sie Absorption und Reflexion von Licht misst. Die Ergebnisse der Gehirnbildgebung waren eindeutig: Romantische Paare wiesen eine deutlich höhere interpersonelle neuronale Synchronisation auf, insbesondere im lateralen präfrontalen Cortex. Die Gehirne der Partner arbeiteten während des gemeinsamen Erinnerns buchstäblich im Einklang. Diese neuronale Ausrichtung scheint der Mechanismus zu sein, der es ermöglicht, dass die Gedächtnisverarbeitung des einen Partners die des anderen formt. Man vermutet, dass dieses Beschneiden von Erinnerungen über zwei Gehirne hinweg Paaren hilft, eine stabile geteilte Realität aufzubauen, sodass durch die Angleichung dessen, was behalten und was vergessen wird, ein konsistentes gemeinsames Narrativ entsteht, das die soziale Bindung stärkt und die Kooperation im Alltag erleichtert.

    Literatur

    Zhang, H., Chang, Y., Ahati, S., Pu, J., & Liu, T. (2024). The role of romantic relationships in socially shared retrieval-induced forgetting: Cognitive and neural evidence. Quarterly Journal of Experimental Psychology, doi:10.1177/17470218251367720.

    Impressum ::: Datenschutzerklärung ::: Nachricht ::: © Werner Stangl ::: Pädagogische Neuigkeiten für Psychologen :::

    Schreibe einen Kommentar

    Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert