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Stottern zwischen Ursache, Therapie und Selbstwert: Fortschritte, Herausforderungen und gesellschaftliche Akzeptanz

    Trotz jahrzehntelanger Forschung bleibt Stottern eine komplexe und in vielen Aspekten ungeklärte Sprachstörung, die etwa ein Prozent der Weltbevölkerung betrifft. Die Störung des Redeflusses, die unabhängig von Herkunft oder Sprache auftritt, zeigt sich typischerweise in wiederholten Lauten, Blockierungen und Unterbrechungen der Stimmlippenschwingung beim Sprechen. Laut dem Logopäden Hartmut Zückner sind vor allem Übergänge zwischen Konsonanten und Vokalen problematisch, da hier häufig die Stimmlippenschwingung abreißt. Obwohl in den letzten Jahren genetische Faktoren zunehmend in den Fokus gerückt sind – Forscherinnen und Forscher konnten 48 Gene identifizieren, die mit Stottern in Verbindung stehen –, bleibt die genaue Ursache weitgehend unklar. Auffällig ist jedoch, dass über 70 % der Betroffenen familiäre Häufungen aufweisen. Dennoch zeigen selbst eineiige Zwillinge teils unterschiedliche Ausprägungen, was auf ein Zusammenspiel genetischer und umweltbedingter Einflüsse schließen lässt.

    Während die Ursachenforschung noch am Anfang steht, haben therapeutische Ansätze deutliche Fortschritte gemacht. Besonders zwei Methoden gelten heute als wirksam: das Fluency Shaping und die Stottermodifikation. Beim Fluency Shaping lernen Betroffene, ihren gesamten Sprechablauf zu restrukturieren – mit bewusster Verlangsamung, weichen Stimmeinsätzen und verlängerten Lauten. Dadurch lässt sich die Häufigkeit von Stotterereignissen deutlich verringern. Die Stottermodifikation hingegen zielt darauf ab, das Stottern selbst zu verändern, statt es zu vermeiden. Betroffene üben, die Spannung beim Sprechen zu reduzieren, das Stottern anzunehmen und fließender mit Unterbrechungen umzugehen. Beide Methoden fördern nicht nur die Kommunikationsfähigkeit, sondern auch das Selbstvertrauen der Betroffenen.

    Besondere Aufmerksamkeit gilt der frühzeitigen Therapie von Kindern, da Stottern häufig zwischen dem zweiten und sechsten Lebensjahr beginnt – also während des Spracherwerbs. Bei vielen Kindern verschwindet die Symptomatik von selbst, bei anderen bleibt sie jedoch bis ins Erwachsenenalter bestehen. Nach Einschätzung von Logopäden sinkt die Wahrscheinlichkeit einer spontanen Remission deutlich nach der Pubertät. Deshalb legen moderne Therapieansätze Wert auf frühzeitige, individuell abgestimmte Betreuung, die neben sprachlichen Übungen auch Entspannungstechniken und Maßnahmen zur Stärkung des Selbstwertgefühls umfasst. Ein förderliches häusliches Umfeld spielt hierbei eine zentrale Rolle: Kinder, die in einer geduldigen und akzeptierenden Umgebung aufwachsen, reagieren meist besser auf Therapie. Eltern wird geraten, die Kinder aussprechen zu lassen und das Gesagte inhaltlich zu würdigen, anstatt auf das Stottern selbst zu reagieren.

    Auch die gesellschaftliche Wahrnehmung hat sich in den letzten Jahren verbessert. Dennoch werden stotternde Menschen nach wie vor mit Vorurteilen konfrontiert – etwa der Annahme, ihre Sprechprobleme spiegelten mangelnde Intelligenz oder Unsicherheit wider. Fachleute betonen daher die Bedeutung öffentlicher Aufklärung, um Stigmatisierung abzubauen. Der jährlich am 22. Oktober stattfindende Welttag des Stotterns trägt dazu bei, die Akzeptanz in der Gesellschaft zu fördern und auf die Bedürfnisse der Betroffenen aufmerksam zu machen.

    Die Forschung von Zückner (2011) unterstreicht zudem, dass Stottern nicht nur sprachlich, sondern auch psychologisch bedeutsam ist. In einer Untersuchung mit 171 stotternden Kindern und Jugendlichen im Alter von 8 bis 15 Jahren zeigte sich, dass jüngere Betroffene ein höheres Selbstwertgefühl aufweisen als ihre nicht stotternden Altersgenossen. Mit zunehmendem Alter jedoch sinkt der Selbstwert kontinuierlich – ein Effekt, der mit wachsender sozialer Vergleichbarkeit und möglicher Ausgrenzung zusammenhängt. Auch Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen wurden festgestellt, wobei Kommunikationsverhalten und Therapieerfahrungen eng mit der Entwicklung des Selbstwerts verknüpft sind. Diese Ergebnisse verdeutlichen, dass erfolgreiche Stottertherapie nicht nur auf Sprachflüssigkeit abzielen darf, sondern auch emotionale und soziale Dimensionen berücksichtigen muss.

    Insgesamt zeigt sich: Stottern ist eine vielschichtige Störung, die biologische, psychologische und gesellschaftliche Faktoren miteinander verbindet. Dank moderner Therapieformen können Betroffene heute deutlich besser mit ihrer Sprechweise umgehen. Entscheidend bleibt jedoch, dass die Gesellschaft Verständnis, Geduld und Respekt gegenüber stotternden Menschen zeigt – denn Heilung beginnt nicht nur im Kehlkopf, sondern auch im Bewusstsein der Zuhörenden.

    Literatur

    Zückner, H. (2011). Selbstwert von stotternden Kindern und Jugendlichen – Einfluss auf Sprechverhalten und Erleben von Stottern. Sprache · Stimme · Gehör, 35, doi:10.1055/s-0030-1280763
    H. Zückner (2014). Intensiv-Modifikation Stottern: Informationen für Patienten und Übungsaufgaben. Neuss: Natke Verlag,.

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