Neue neurobiologische Forschung zeigt, dass der Superior Colliculus (SC), eine kleine Region im Mittelhirn, eine entscheidende Rolle bei der blitzschnellen Verarbeitung von Gefahrensituationen spielt. Lange galt der SC vor allem als Umschaltstation für visuelle Informationen, doch mittlerweile mehren sich die Hinweise, dass er weit mehr ist: ein zentraler Knotenpunkt für die Initiierung von Abwehrreaktionen. Dabei verarbeitet der SC insbesondere visuelle Reize, die sich schnell nähern oder bedrohlich wirken, und leitet diese Signale unmittelbar in motorische Netzwerke weiter. E
xperimente an Mäusen haben gezeigt, dass bestimmte Zelltypen im SC auf „looming“-Stimuli reagieren, also auf sich vergrößernde Schatten oder herannahende Objekte. Diese schnellen visuellen Pfade können innerhalb von Millisekunden die Entscheidung anstoßen, ob ein Tier flieht oder erstarrt. Neuere Studien deuten darauf hin, dass nicht nur die Stärke des Reizes, sondern auch die Qualität der visuellen Information eine Rolle spielt. So konnten Zhang et al. (2025) zeigen, dass die Integration binokularer Signale im SC das Fluchtverhalten deutlich erleichtert. Mäuse reagierten schneller und konsistenter mit Flucht, wenn beide Augen beteiligt waren und die Signale aus unterschiedlichen Pfaden im SC zusammengeführt wurden.
Ergänzend weisen andere Untersuchungen darauf hin, dass der SC stark von inneren Zuständen beeinflusst wird. Stress kann beispielsweise über noradrenerge Signale aus dem Locus Coeruleus die Reaktionsschwelle senken, sodass Bedrohungen eher eine Flucht auslösen (Liang et al., 2018). Auch der präfrontale Cortex spielt eine Rolle, indem er die Aktivität im SC moduliert, sodass Erfahrungen oder erlernte Bedrohungen die Abwehrreaktionen verändern können (Shang et al., 2023).
Zwar entscheidet der SC nicht isoliert, besitzt aber eine Schlüsselrolle als schnelle Schaltzentrale, die sensorische Eingaben, innere Zustände und Erfahrungen integriert. Die Frage, ob man bei Gefahr flieht oder erstarrt, wird also wesentlich von dieser kleinen, lange unterschätzten Hirnregion mitbestimmt.
Liiteratur
Liang, C., Chen, L., & Li, Y. (2018). Locus coeruleus–noradrenergic modulation of defensive responses to looming stimuli. Nature Communications, 9(1), 2583.
Shang, C., Liu, Z., Chen, Z., Shi, Y., Wang, Q., Liu, S., … Cao, P. (2023). Prefrontal modulation of superior colliculus circuits in visually guided defensive behavior. Nature Neuroscience, 26(4), 635–648.
Zhang, H., Wang, J., Liu, T., & Li, X. (2025). Binocular processing facilitates escape behavior through multiple pathways to the superior colliculus. Current Biology, 35(3), 567–578.