Obwohl Bakterien weder Nervensystem noch Gehirn besitzen, können sie Informationen aus ihrer Umwelt speichern und über viele Generationen hinweg weitergeben. Dieses „bakterielle Gedächtnis“ äußert sich in einer phänotypischen Vielfalt, die trotz identischer genetischer Ausstattung zu unterschiedlichen Verhaltensweisen führt – etwa in der Wachstumsrate oder im Grad der Antibiotikaresistenz. Mechanismen wie epigenetische Modifikationen, phasenabhängige Genregulation oder die durch Umweltsignale gesteuerte Transkription tragen zu dieser Form des „Kurzzeitgedächtnisses“ bei.
Ein methodischer Durchbruch gelang mit Microcolony-seq, einer neuen Technik, die genetische, epigenetische und transkriptionelle Prozesse gleichzeitig analysieren kann. Dadurch lassen sich stabile Subpopulationen innerhalb einer Infektion aufspüren und deren spezifische Anpassungen beschreiben. Tests an Patientenproben mit Staphylococcus aureus und Escherichia coli belegten, dass Bakterien nicht als homogene Masse auftreten, sondern sich in funktional unterschiedliche Gruppen gliedern. Einige spezialisierten sich auf die Adhäsion an Wirtszellen, andere auf Beweglichkeit oder Resistenzentwicklung. Diese Heterogenität erklärt, warum experimentelle Medikamente teilweise versagen, da sie nur einen Teil der bakteriellen Population erfassen.
Besonders in Fällen therapieresistenter Infektionen könnte Microcolony-seq künftig wertvolle Einsichten für gezieltere Behandlungsstrategien liefern. Für die Routinediagnostik ist die Methode derzeit jedoch noch zu aufwendig. Für die Grundlagenforschung bietet sie hingegen entscheidende Vorteile: Sie erlaubt es, die Grenzen bakterieller Erinnerung zu bestimmen. So zeigte sich, dass das gespeicherte „Gedächtnis“ gelöscht wird, wenn Bakterien in eine Nährstoffkrise geraten und in die stationäre Wachstumsphase übergehen. Damit verdeutlicht die Studie, dass jede einzelne Bakterienzelle Spuren ihrer Vergangenheit trägt und diese Informationen an ihre Nachkommen weiterreichen kann, wodurch Infektionsverläufe komplexer und variabler werden, als bislang angenommen (Faigenbaum-Romm et al., 2025).
Literatur
Faigenbaum-Romm, R., Yedidi, N., Gefen, O., Katsowich-Nagar, N., Aroeti, L., Ronin, I., Bar-Meir, M., Rosenshine, I., & Balaban, N. Q. (2025). Uncovering phenotypic inheritance from single cells with Microcolony-seq. Cell. Advance online publication. https://doi.org/10.1016/j.cell.2025.08.001
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