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Berührung und Selbstberührung

    Berührung und Selbstberührung Homo hapticus GrunwaldZwischen 400 und 800 Mal am Tag berühren sich Menschen auf der ganzen Welt mit der Hand im Gesicht – meist ohne sich dieser etwa 1,3 Sekunden dauernden Bewegung bewusst zu sein. Die beruhigende Wirkung wird durch den Kontakt der Hände mit den Vellushaaren ausgelöst, jenen feinen Härchen, die sich vor allem im Nasen-, Stirn- und Kinnbereich befinden und von Rezeptoren umgeben sind, die den Berührungsreiz direkt an das Gehirn weiterleiten. Studien haben die elektrische Aktivität des Gehirns während solcher spontanen Selbstberührungen analysiert und gezeigt, dass die Gehirnaktivität vor und nach einer spontanen Selbstberührung völlig unterschiedlich ist, d.h. eine kurze spontane Selbstberührung verändert die Gehirnaktivität in bestimmten Bereichen. Es wird vermutet, dass der kurze Berührungsreiz jene Hirnaktivität verstärkt, die für die Stabilisierung des emotionalen Zustandes und für die Stabilisierung des Arbeitsgedächtnisses verantwortlich ist, so dass Selbstberührungen ein Versuch des Organismus sind, nach oder während einer psychischen Irritation wieder einen Zustand des psychischen Gleichgewichts herzustellen. Bei großer Freude oder Trauer, bei positiven oder negativen Stressoren scheint durch spontane Selbstberührung eine neurobiologische Homöostase erreicht zu werden.

    Die Selbstberührung beginnt bereits im Mutterleib, wenn der Fötus noch im Fruchtwasser schwimmt, denn es konnte beobachtet werden, dass die Selbstberührungen des Fötus zunehmen, wenn die Mutter traurige oder emotionsgeladene Reize wie Filme oder Musik verarbeiten muss und wenn der Stresspegel steigt. Berührungsreize sind dann auch in der frühen Kindheit wichtig für eine gesunde und stabile Entwicklung des Kindes, denn das Fehlen solcher Körperreize kann sogar zum Tod des Kindes führen, da Berührungsreize in der frühen Kindheit in Form von neurobiologischen Wachstumsimpulsen verwertet werden. Von Anfang an und im weiteren Lebensverlauf unterstützen und stabilisieren körperliche Interaktionen unsere Beziehungen zu anderen Menschen, z.B. durch Umarmungen. Körperliche Nähe ist somit ein Beziehungskatalysator und ein soziales Bindemittel zwischen uns Säugetieren. Aufgrund dieser grundsätzlichen Natur sozial vermittelter Berührungsreize können Menschen lebenslang nicht darauf verzichten, auch wenn es sich untereinander nur um kleine und kurze körperliche Gesten handelt.

    Martin Grunwald, Professor für Wahrnehmungspsychologie an der Universität Leipzig, hält den Tastsinn für überlebenswichtig. Er sagt: „In der sehr frühen Kindheit sind Körperberührungen sogar elementare Voraussetzung dafür, dass der Säugetierorganismus Mensch überhaupt wächst. Es gibt kein neuronales oder körperlich-zelluläres Wachstum ohne ein adäquates Maß an Körperverformung, sprich Körperberührungen.“ Grunwalds Versuche im Haptik-Forschungslabor in Leipzig haben gezeigt, dass befruchtete Eizellen im Mutterleib bereits in der sechsten Schwangerschaftswoche auf Berührung reagieren und so Wachstum stimuliert wird. Auch für Erwachsene spielt die Sensorik eine zentrale Rolle: Rund 900 Millionen Rezeptoren senden in jedem Augenblick Informationen an das Gehirn, ein Vielfaches der Seh- und Höreindrücke. Im Kernspintomographen untersucht Grunwald die durch Berührung ausgelösten biochemischen Vorgänge im Körper und ihre individuelle und soziale Auswirkung. „Die körperliche Entspannung, die Regulation von Emotionen kann man mit Körperberührung sehr gut hinbekommen, und wir haben eine ganze Reihe positiver Immunreaktionen, die nur und ausschließlich durch Köperberührung stimuliert werden.“ Nach Grunewald sind Menschen auf Körperkontakt auf der individuellen Ebene für ein gesundes, menschliches Leben angewiesen. Untersuchungen haben etwa gezeigt, dass KellnerInnen, die ihren Gast vor dem Bezahlen kurz leicht berühren, durchweg mit einem höheren Trinkgeld rechnen dürfen. Bereits ein leichtes Schulterklopfen vor einer Prüfung verringert den Blutdruck und das Stresslevel bei Studierenden messbar.



    Literatur

    Stangl, W. (2020, 17. März). strokes. Online Lexikon für Psychologie & Pädagogik.
    https:// lexikon.stangl.eu/9394/strokes-streicheln-schlag.
    https://www.uniklinikum-leipzig.de/Seiten/prof-martin-grunwald.aspx (20-12-12)


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