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Die Mikrobiom-Darm-Gehirn-Achse als Ziel bei der Behandlung von Depressionen

    depressionDepressive Störungen sind weltweit die Hauptursache für Behinderungen und die Behandlungsmöglichkeiten sind unzureichend. Derzeit werden jedoch neue therapeutische Ansätze diskutiert, von Augmentationsstrategien bis hin zu neuartigen Behandlungen, die auf das Immunsystem oder die Mikrobiom-Darm-Hirn-Achse abzielen. Daher untersuchten Schmidtner et al. (2019) die potenziellen positiven Auswirkungen von Minocyclin, einem Tetrazyklin-Antibiotikum mit pleiotroper, immunmodulatorischer Wirkung, allein oder als Augmentation von Escitalopram auf das Verhalten, die präfrontale Mikroglia-Dichte und das Darmmikrobiom bei Ratten, die selektiv auf hohes angstähnliches Verhalten gezüchtet wurden. Schmidtner et al. (2019) zeigen, dass hohes angstähnliches Verhalten neben ihrer hohen angeborenen Angst und Depression eine geringere Anzahl von Mikroglia im infralimbischen und prälimbischen präfrontalen Cortex und eine veränderte Zusammensetzung der Darmmikrobiota im Vergleich zu Kontrollgruppen aufweisen. Eine dreiwöchige Minocyclin-Behandlung linderte den depressiv-ähnlichen Phänotyp, reduzierte die Mikroglia-Dichte weiter, und zwar ausschließlich bei männlichen hochangstlichen Ratten, und verringerte die Plasmakonzentrationen von pro-inflammatorischen Zytokinen. Die gleichzeitige Verabreichung von Escitalopram, das allein keine Wirkung zeigte, verhinderte jedoch diese Minocyclin-induzierten Effekte. Darüber hinaus führte Minocyclin sowohl bei hochangstlichen Ratten als auch bei Ratten, die nicht auf angstähnliches Verhalten selektiert wurden, zu einer deutlichen Veränderung der mikrobiellen Zusammensetzung im Blinddarm. Minocyclin erhöhte dabei deutlich die relative Häufigkeit von Lachnospiraceae und Clostridiales Familie XIII, Gruppen, die für ihre Butyratproduktion bekannt sind, mit einem entsprechenden Anstieg und einer positiven Korrelation der 3-OH-Butyratspiegel im Plasma in einer eigenschaftsabhängigen Weise. Diese Ergebnisse deuten also darauf hin, dass die antidepressive Wirkung von Minocyclin geschlechts- und eigenschaftsabhängig ist und mit einer verringerten Anzahl von Mikroglia im präfrontalen Cortex sowie mit Veränderungen der mikrobiellen Zusammensetzung und ihrer Metaboliten einhergeht. Diese Ergebnisse unterstützen die Mikrobiom-Darm-Gehirn-Achse als potenzielles Ziel bei der Behandlung von Depressionen.

    Hat auch das menschliche Gehirn ein Mikrobiom?

    In einem Übersichtsartikel vom Link (2021) wurde die Frage gestellt, ob es ein „Hirn-Mikrobiom“ gibt – also eine residente mikrobielle Population im gesunden menschlichen Gehirn. Zwar wurden in mehreren Studien mikrobielle DNA oder Proteine in menschlichem Hirngewebe (gesund und krankhaft verändert) gefunden, jedoch ist unklar, ob diese Funde auf Verunreinigung, transiente Besiedlung oder echte mikrobielle Präsenz zurückzuführen sind. Man vermutet allerdings, dass insbesondere bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer ein Zusammenhang mit Mikroorganismen besteht. Für den endgültigen Nachweis eines Hirn-Mikrobioms im gesunden Menschen sind jedoch noch gezielte Studien, insbesondere mit Tiermodellen, notwendig. Eine Studie von Moné et al. (2023) lieferte nun aber neue Hinweise darauf, dass Alzheimer-Erkrankungen (AD) mit einer komplexen, bakteriellen Mikrobiom-Dynamik im Gehirn zusammenhängen könnten. In einer Analyse von 130 postmortalen Hirnproben (frontaler und temporaler Cortex sowie entorhinaler Cortex) von 16 Alzheimer-Patient*innen und 16 altersgleichen Kontrollpersonen wurden mittels 16S rRNA-Sequenzierung (Pacific Biosciences-Technologie) bakterielle Gemeinschaften identifiziert. Dabei dominierten Cutibacterium acnes sowie Arten der Gattungen Acinetobacter und Comamonas. Ein neuartiger Analyseansatz auf Basis des Latent Dirichlet Allocation-Algorithmus ermöglichte die Identifizierung von fünf mikrobiellen Klassen, die vermutlich unterschiedliche zeitliche Infektionsstadien repräsentieren. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Alzheimer mit einem spezifischen Mikrobiom-Muster assoziiert ist, das durch ein komplexes Zusammenspiel verschiedener Bakterien entsteht. Bemerkenswert ist, dass C. acnes nicht bei maximaler Abundanz, sondern in einer mittleren Phase gemeinsam mit anderen Bakterien wie Methylobacterium, Bacillus, Caulobacter, Delftia und Variovorax eine potenziell pathogene Rolle spielt. Zudem könnte der Verlust von Comamonas, welcher mit gesunden Gehirnen assoziiert war, einen frühen Schritt in der Krankheitsentwicklung markieren. Die Befunde unterstützen die Hypothese eines durchlässigen Blut-Hirn- oder lymphatischen Systems, das es Mikroorganismen erlaubt, ins Gehirn einzudringen und dort eine chronische Infektion zu etablieren, die zur Entwicklung von Alzheimer beitragen könnte.


    Literatur

    Link, C. D. (2021). Is There a Brain Microbiome? Brain and Neuroscience Advances, 5, 26331055211018709. https://doi.org/10.1177/26331055211018709 Moné, Y., Earl, J. P., Król, J. E., Ahmed, A., Sen, B., Ehrlich, G. D. & Lapides, J. R. (2023). Evidence supportive of a bacterial component in the etiology for Alzheimer’s disease and for a temporal-spatial development of a pathogenic microbiome in the brain. Frontiers in Cellular and Infection Microbiology, 13, 1123228. https://doi.org/10.3389/fcimb.2023.1123228
    Schmidtner, Anna K., Slattery, David A., Gläsner, Joachim, Hiergeist, Andreas, Gryksa, Katharina, Malik, Victoria A., Hellmann-Regen, Julian, Heuser, Isabella, Baghai, Thomas C., Gessner, André, Rupprecht, Rainer, Di Benedetto, Barbara & Neumann, Inga D. (2019). Minocycline alters behavior, microglia and the gut microbiome in a trait-anxiety-dependent manner. Translational Psychiatry, 9, doi10.1038/s41398-019-0556-9.
    Stangl, W. (2025, 25. April). Hat das menschliche Gehirn ein Mikrobiom? – Psychologie-News.
    https:// psychologie-news.stangl.eu/5754/hat-das-menschliche-gehirn-ein-mikrobiom.

    Bildquelle: https://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/EMOTION/depression2.jpg


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