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Hat das menschliche Gehirn ein Mikrobiom?

    In einem Übersichtsartikel vom Link (2021) wurde die Frage gestellt, ob es ein „Hirn-Mikrobiom“ gibt – also eine residente mikrobielle Population im gesunden menschlichen Gehirn. Zwar wurden in mehreren Studien mikrobielle DNA oder Proteine in menschlichem Hirngewebe (gesund und krankhaft verändert) gefunden, jedoch ist unklar, ob diese Funde auf Verunreinigung, transiente Besiedlung oder echte mikrobielle Präsenz zurückzuführen sind. Man vermutet allerdings, dass insbesondere bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer ein Zusammenhang mit Mikroorganismen besteht. Für den endgültigen Nachweis eines Hirn-Mikrobioms im gesunden Menschen sind jedoch noch gezielte Studien, insbesondere mit Tiermodellen, notwendig.

    Eine Studie von Moné et al. (2023) lieferte nun aber neue Hinweise darauf, dass Alzheimer-Erkrankungen (AD) mit einer komplexen, bakteriellen Mikrobiom-Dynamik im Gehirn zusammenhängen könnten. In einer Analyse von 130 postmortalen Hirnproben (frontaler und temporaler Cortex sowie entorhinaler Cortex) von 16 Alzheimer-Patient*innen und 16 altersgleichen Kontrollpersonen wurden mittels 16S rRNA-Sequenzierung (Pacific Biosciences-Technologie) bakterielle Gemeinschaften identifiziert. Dabei dominierten Cutibacterium acnes sowie Arten der Gattungen Acinetobacter und Comamonas.

    Ein neuartiger Analyseansatz auf Basis des Latent Dirichlet Allocation-Algorithmus ermöglichte die Identifizierung von fünf mikrobiellen Klassen, die vermutlich unterschiedliche zeitliche Infektionsstadien repräsentieren. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Alzheimer mit einem spezifischen Mikrobiom-Muster assoziiert ist, das durch ein komplexes Zusammenspiel verschiedener Bakterien entsteht. Bemerkenswert ist, dass C. acnes nicht bei maximaler Abundanz, sondern in einer mittleren Phase gemeinsam mit anderen Bakterien wie Methylobacterium, Bacillus, Caulobacter, Delftia und Variovorax eine potenziell pathogene Rolle spielt. Zudem könnte der Verlust von Comamonas, welcher mit gesunden Gehirnen assoziiert war, einen frühen Schritt in der Krankheitsentwicklung markieren.

    Die Befunde unterstützen die Hypothese eines durchlässigen Blut-Hirn- oder lymphatischen Systems, das es Mikroorganismen erlaubt, ins Gehirn einzudringen und dort eine chronische Infektion zu etablieren, die zur Entwicklung von Alzheimer beitragen könnte.



    Literatur

    Link, C. D. (2021). Is There a Brain Microbiome? Brain and Neuroscience Advances, 5, 26331055211018709. https://doi.org/10.1177/26331055211018709
    Moné, Y., Earl, J. P., Król, J. E., Ahmed, A., Sen, B., Ehrlich, G. D. & Lapides, J. R. (2023). Evidence supportive of a bacterial component in the etiology for Alzheimer’s disease and for a temporal-spatial development of a pathogenic microbiome in the brain. Frontiers in Cellular and Infection Microbiology, 13, 1123228. https://doi.org/10.3389/fcimb.2023.1123228


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