Tanzen ist weit mehr als ein ästhetischer oder sportlicher Akt – es ist ein komplexer neurobiologischer Prozess, der sowohl das soziale Miteinander als auch die geistige und körperliche Gesundheit fördern kann. Jüngste neurowissenschaftliche Studien liefern faszinierende Einblicke in das, was im Gehirn geschieht, wenn Menschen sich im Takt der Musik und im Gleichklang miteinander bewegen. Dabei wird deutlich: Der menschliche Geist ist nicht nur empfänglich für rhythmische Bewegung, sondern reagiert besonders intensiv auf bestimmte Formen körperlicher Interaktion – etwa das sogenannte „Bouncen“, also sanfte, rhythmische Kniebewegungen.
Eine aktuelle Studie von Bigand et al. (2025) beleuchtet mithilfe elektroenzephalographischer Messungen (EEG) die neuronalen Vorgänge bei Paartänzen. Durch eine innovative Methodik gelang es dem Forschungsteam, gleich vier zentrale Prozesse im Gehirn voneinander zu trennen: die akustische Verarbeitung von Musik, die motorische Kontrolle der Eigenbewegung, die visuelle Beobachtung der Partnerbewegung sowie – als bisher unentdeckte Komponente – die visuelle Erfassung sozialer Koordination. Besonders bemerkenswert ist das identifizierte neuronale Signal für Synchronität, das nicht durch die Bewegungen eines einzelnen Tänzers erklärbar ist, sondern erst durch die Interaktion zweier Personen entsteht. Diese Synchronität wird besonders stark, wenn sich die Tanzpartner gegenseitig sehen können – ein Hinweis auf die dominante Rolle der visuellen Wahrnehmung gegenüber der auditiven. Obwohl es sich beim Bouncen um eine vergleichsweise kleine Bewegung handelt, erzeugt sie eine starke neuronale Resonanz im Gehirn der Tanzenden, fördert die zwischenmenschliche Synchronität, steigert die Aufmerksamkeit und scheint ein Schlüsselreiz in der tanzinduzierten sozialen Koordination zu sein.
Diese Erkenntnisse knüpfen an frühere Untersuchungen an, die die positiven Effekte synchroner Bewegungen auf die Psyche und das Schmerzempfinden untersuchten. Bereits 2015 belegten Tarr et al., dass gemeinsames rhythmisches Bewegen – wie etwa beim Gruppentanz – zur Ausschüttung von Endorphinen führt, was nicht nur die Schmerztoleranz erhöht, sondern auch soziale Bindungen stärkt. Besonders bei älteren Menschen zeigen sich die positiven Wirkungen des Tanzens auf mehreren Ebenen, da regelmäßige Bewegung zu Musik nicht nur die körperliche Fitness im Alter unterstützt, sondern auch die kognitive Leistungsfähigkeit stärkt, sodass Tanzen eine praktikable Maßnahme gegen den altersbedingten geistigen Abbau darstellt. Das menschliche Gehirn ist also nicht nur als Empfänger rhythmischer Reize, sondern ist auch ein aktiver Mitgestalter einer sozialen Erfahrung, die weit über einfache motorische Koordination hinausgeht.
Literatur
Bigand, F., Bianco, R., Abalde, S. F., Nguyen, T., & Novembre, G. (2025). EEG of the dancing brain: Decoding sensory, motor and social processes during dyadic dance. The Journal of Neuroscience, doi:10.1523/JNEUROSCI.2372-24.2025
Tarr, B., Launay, J., & Dunbar, R. I. M. (2015). Silent disco: Dancing in synchrony leads to elevated pain thresholds and social closeness. Biology Letters, 11, doi:10.1098/rsbl.2015.0767
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