Das Imposter-Syndrom, auch als Hochstapler-Syndrom bekannt, ist ein weit verbreitetes, jedoch oft verborgenes Phänomen, das insbesondere leistungsorientierte und erfolgreiche Menschen betrifft, wobei es durch eine Vielzahl psychologischer, sozialer und entwicklungsbedingter Einflüsse entsteht und durch gezielte Selbstreflexion, psychologische Unterstützung und einen offenen Umgang mit den eigenen Zweifeln überwunden werden kann.
Das Imposter-Syndrom beschreibt also jenes psychologische Phänomen, bei dem betroffene Menschen trotz objektiver Erfolge das Gefühl haben, ihre Leistungen seien unverdient, denn sie schreiben ihre Erfolge häufig äußeren Umständen wie Glück, Zufall oder der Hilfe anderer zu und befürchten, als Betrüger bzw. Betrügerinnen entlarvt zu werden (Clance & Imes, 1978). Diese inneren Selbstzweifel entstehen meist durch eine Kombination individueller, sozialer und entwicklungspsychologischer Faktoren. Häufige Ursachen liegen in einem stark ausgeprägten Perfektionismus, einem überkritischen inneren Dialog oder dem ständigen Vergleich mit anderen, insbesondere in kompetitiven oder leistungsorientierten Umfeldern. Die permanente Selbstbeobachtung und der Zweifel an der eigenen Kompetenz führen dazu, dass selbst herausragende Leistungen relativiert oder entwertet werden.
Paradoxerweise sind es gerade besonders erfolgreiche Menschen, die häufig vom Imposter-Syndrom betroffen sind, d. h., sie befinden sich oft in Positionen mit hoher Verantwortung und stehen unter großem Erfolgsdruck. Ihre Leistungen werden gesellschaftlich anerkannt, doch subjektiv erleben sie diese Anerkennung nicht als berechtigt. Der innere Widerspruch zwischen äußerem Erfolg und innerem Zweifel führt zu chronischem Stress, Angst vor dem Scheitern und dem Zwang, sich immer wieder beweisen zu müssen (Vergauwe et al., 2015). Viele dieser Personen neigen dazu, Misserfolge stark zu gewichten, während sie Erfolge abwerten oder ignorieren. Sie glauben, dass sie ihre Position nur durch Zufall oder durch Täuschung erreicht haben und jederzeit „auffliegen“ könnten.
Die Wurzeln des Imposter-Syndroms lassen sich häufig in der frühen Kindheit und Jugend finden, wobei vor allem Erziehungsmuster, die stark leistungsorientiert sind, dazu führen können, dass Kinder lernen, ihren Wert über Leistung zu definieren. Übermäßige Kritik, übertriebenes Lob ohne Substanz oder auch inkonsistente Rückmeldungen können ein instabiles Selbstkonzept fördern. Auch der Vergleich mit Geschwistern oder das Gefühl, bestimmten familiären Erwartungen nicht zu genügen, kann langfristig das Gefühl nähren, nicht gut genug zu sein – selbst wenn objektive Leistungen das Gegenteil beweisen (Sakulku & Alexander, 2011). In der schulischen und beruflichen Entwicklung verstärken sich diese Muster oft, besonders wenn gesellschaftlicher oder kultureller Druck hinzukommt.
Trotz der weitverbreiteten Prävalenzstudien zufolge sind zwischen 20 und 70 % der Menschen im Laufe ihres Lebens davon betroffen (Bravata et al., 2020), bleibt das Imposter-Syndrom oft lange unentdeckt. Viele Betroffene sprechen nicht über ihre Selbstzweifel, weil sie sich schämen oder glauben, mit ihren Gedanken allein zu sein. Von außen wirken sie kompetent, souverän und leistungsstark, was wiederum dazu führt, dass ihr innerer Konflikt übersehen wird. Häufig wird das Syndrom auch mit Bescheidenheit verwechselt oder durch die eigene Fähigkeit, „funktionieren“ zu können, verdeckt. Besonders problematisch ist, dass viele Betroffene ihre Zweifel als normalen Bestandteil ihres Denkens betrachten und nicht erkennen, dass diese Gedanken hinterfragt oder verändert werden können.
Um dem Imposter-Syndrom entgegenzuwirken, sind verschiedene Strategien hilfreich. Ein erster Schritt ist die bewusste Auseinandersetzung mit den eigenen Gedankenmustern, wobei etwa das Führen eines Erfolgstagebuchs oder das regelmäßige Reflektieren konkreter Leistungen helfen kann, eine realistischere Selbstwahrnehmung aufzubauen. Der Austausch mit anderen – etwa im Rahmen von Mentoring oder Supervision – kann entlasten und das Erleben normalisieren. Auch die bewusste Setzung realistischer Ziele anstelle von perfektionistischen Erwartungen wirkt unterstützend. Methoden der kognitiven Umstrukturierung aus der kognitiven Verhaltenstherapie ermöglichen es, dysfunktionale Überzeugungen wie „Ich bin nicht gut genug“ oder „Ich habe meinen Erfolg nicht verdient“ kritisch zu hinterfragen und durch hilfreichere Gedanken zu ersetzen (Kumar & Jagacinski, 2006).
Wenn die Selbstzweifel stark ausgeprägt sind und das Wohlbefinden oder die berufliche Leistungsfähigkeit einschränken, können therapeutische Angebote sinnvoll sein. In der kognitiven Verhaltenstherapie lernen Betroffene, belastende Denkmuster zu erkennen und schrittweise zu verändern. In der Schematherapie werden früh erlernte Verhaltens- und Beziehungsmuster bearbeitet, die dem Imposter-Erleben zugrunde liegen. Auch achtsamkeitsbasierte Ansätze wie die Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT) helfen, mit negativen Gedanken und Gefühlen einen gesünderen Umgang zu entwickeln. Gruppentherapien oder Coaching-Angebote können zusätzlich unterstützend wirken, vor allem wenn das Imposter-Syndrom im beruflichen Kontext auftritt.
Literatur
Bravata, D. M., Watts, S. A., Keefer, A. L., Madhusudhan, D. K., Taylor, K. T., Clark, D. M., … & Hagg, H. K. (2020). Prevalence, predictors, and treatment of impostor syndrome: a systematic review. Journal of General Internal Medicine, 35, 1252–1275.
Clance, P. R., & Imes, S. A. (1978). The imposter phenomenon in high achieving women: Dynamics and therapeutic intervention. Psychotherapy: Theory, Research & Practice, 15, 241–247.
Kumar, S., & Jagacinski, C. M. (2006). Imposters have goals too: The imposter phenomenon and its relationship to achievement goal theory. Personality and Individual Differences, 40, 147–157.
Sakulku, J., & Alexander, J. (2011). The Impostor Phenomenon. International Journal of Behavioral Science, 6, 73–92.
Stangl, W. (2015, 30. April). Impostor-Syndrom. Online Lexikon für Psychologie & Pädagogik.
https:// lexikon.stangl.eu/13517/impostor-syndrom.
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