Stottern zählt zu den komplexesten Redeflussstörungen und betrifft etwa ein Prozent der erwachsenen Bevölkerung. Die Betroffenen kämpfen häufig mit erheblichen Einschränkungen im Alltag und ihrer sozialen Teilhabe. Obwohl genetische, anatomische und neurophysiologische Faktoren bekannt sind, bleibt die genaue Ursache weitgehend ungeklärt. Neurowissenschaftliche Befunde zeigen, dass bei stotternden Personen die linke Hörrinde weniger mit der motorischen Rinde interagiert, die für die Steuerung der Sprachmuskulatur zuständig ist. Möglicherweise übernimmt deshalb die rechte Hemisphäre kompensatorisch Aufgaben, die sie aufgrund der schnellen Signalverarbeitung der Sprache jedoch nur unzureichend erfüllen kann.
Vor diesem Hintergrund haben Kell et al. (2025) erstmals die tiefe Hirnstimulation (Deep Brain Stimulation, DBS) als potenzielle Behandlungsoption für schweres, therapieresistentes Stottern eingesetzt. Der 24-jährige Proband, der seit seiner Kindheit stark stotterte und auf keine herkömmliche Therapie ansprach, erhielt ein implantiertes Hirnimplantat im linken ventralen intermediären Thalamuskern – einer zentralen Schaltstelle der Sprachverarbeitung. Über eine feine Elektrode wurde diese Region kontinuierlich mit schwachen elektrischen Impulsen stimuliert.
Diese Technik, die bereits bei Bewegungsstörungen wie Parkinson erfolgreich eingesetzt wird, führte im Verlauf mehrerer Monate zu einer signifikanten Verbesserung des Redeflusses: Die Häufigkeit des Stotterns verringerte sich um 46 %, die Schwere um 29 %. In Phasen, in denen die Stimulation deaktiviert war, nahm die Symptomatik wieder zu – ein Hinweis auf einen direkten Zusammenhang zwischen elektrischer Aktivität und Redefluss. Interessanterweise setzte die Wirkung der Stimulation verzögert ein und klang auch nach Abschalten des Geräts nur langsam ab. Dies unterscheidet sich deutlich von den unmittelbaren Effekten bei motorischen Erkrankungen und deutet auf eine allmähliche neuronale Anpassung oder Umstrukturierung hin.
Der Patient berichtete zudem über eine spürbare Verbesserung seiner Kommunikationsfähigkeit und Lebensqualität. Die Forschenden vermuten, dass die Stimulation des Thalamus neue neuronale Wege aktiviert oder bestehende Sprachnetzwerke reorganisiert, wodurch die Kontrolle über die Sprechmotorik langfristig verbessert werden könnte. Allerdings ist bisher unklar, wie genau die elektrische Reizung auf die Sprachverarbeitung wirkt und welche Mechanismen den beobachteten Langzeiteffekt erklären, sodass die Übertragbarkeit der Methode auf andere Betroffene noch aussteht. Die tiefe Hirnstimulation stellt bekanntlich einen invasiven Eingriff dar, der mit chirurgischen Risiken verbunden ist und daher sorgfältig abgewogen werden muss, sodas für viele Stotternde logopädische oder verhaltenstherapeutische Ansätze die erste Wahl bleiben.
Literatur
Kell, C. A., Warneke, N., Zentsch, V., Kasper, J., Vauth-Weidig, M., Warnecke, T., & Neumann, K. (2025). Left thalamic deep brain stimulation for persistent developmental stuttering. Journal of Fluency Disorders, 85, 106147.
Impressum ::: Datenschutzerklärung ::: Nachricht ::: © Werner Stangl ::: Pädagogische Neuigkeiten für Psychologen :::