Die umgangssprachliche Annahme, dass Finger ein Gedächtnis für Knöpfe oder Tasten haben, wird in der Psychologie und Neurowissenschaft durch das Konzept des prozeduralen Gedächtnisses oder motorischen Gedächtnisses – auch als Muscle Memory bezeichnet)- gestützt.
Das prozedurale Gedächtnis
Das sogenannte „Gedächtnis der Finger“ ist in Wirklichkeit eine Form des impliziten oder non-deklarativen Gedächtnisses, genauer gesagt das prozedurale Gedächtnis (Squire & Zola, 1996). Das prozedurale Gedächtnis ist verantwortlich für das Speichern und Abrufen von Fertigkeiten, Gewohnheiten und automatisierten Handlungsabläufen. Es handelt sich um ein „Wissen, wie“ (know-how), im Gegensatz zum deklarativen Gedächtnis, das das „Wissen, was“ (Fakten und Ereignisse) speichert. Durch Wiederholung und Übung (Practice) werden komplexe motorische Sequenzen, wie das Tippen einer Telefonnummer, das Spielen eines Musikinstruments oder das Bedienen einer Tastatur, automatisiert (Karni et al., 1995). Sobald diese Abläufe automatisiert sind, können sie schnell und ohne bewusste kognitive Anstrengung ausgeführt werden. Die Hände scheinen die Aufgabe „von selbst“ zu erledigen. Der Inhalt des prozeduralen Gedächtnisses ist implizit (unbewusst) und kann oft nicht einfach verbalisiert oder erklärt werden. Man weiß, wie man die Tasten drückt, kann aber möglicherweise nicht bewusst die genaue Reihenfolge oder die Position der Knöpfe beschreiben.
Die Rolle des Gehirns
Obwohl man von „Muscle Memory“ spricht, liegt das Gedächtnis nicht in den Muskeln selbst (diese spielen jedoch eine Rolle bei der Aufrechterhaltung der physiologischen Kapazität), sondern in spezialisierten Hirnstrukturen:
- Motorischer Cortex (Frontallappen): Verantwortlich für die Auslösung und Steuerung der Bewegungen. Mit dem Lernen verschiebt sich die Aktivität von anfänglich somatosensorisch geführter, aufmerksamer Kontrolle hin zum Motorcortex (Karni et al., 1995).
- Basalganglien (Striatum und Globus pallidus): Sie sind entscheidende Knotenpunkte für das prozedurale Lernen, insbesondere für das Erlernen von Stimulus-Reaktions-Sequenzen und die Automatisierung (Mishkin et al., 1984; Karni et al., 1995).
- Kleinhirn (Cerebellum): Wichtig für die Koordination, das Timing und die Fehlerkorrektur von Bewegungen.
Lernphasen und Konsolidierung
Das Erlernen des „Fingergedächtnisses“ durchläuft typischerweise verschiedene Phasen (Fitts, 1964, zitiert in DocCheck Flexikon):
- Kognitive Phase: Die Aufgabe wird verstanden und in einzelne Schritte zerlegt. Die Ausführung ist langsam und erfordert volle Aufmerksamkeit.
- Assoziative Phase: Durch wiederholte Durchführung (Übung) werden Reaktionsmuster entwickelt. Die Fehler nehmen ab, und die Bewegung wird flüssiger.
- Autonome Phase: Die Fertigkeit ist perfektioniert und kann schnell und automatisch ausgeführt werden.
Die Konsolidierung dieser motorischen Erinnerungen findet oft während Ruhephasen, einschließlich des Schlafs, oder in kurzen Pausen zwischen den Übungseinheiten statt (Walker et al., 2002; Karni & Sagi, 1993, zitiert in Refubium). Das Gehirn „spielt“ die Sequenzen im Schnelldurchlauf mental wieder ab, um die Gedächtnisspur zu festigen (Walker et al., 2002).
Literatur
Karni, A., Meyer, G., Jezzard, P., Chen, W., Johnson, B. C., & Ungerleider, L. G. (1995). Functional MRI evidence for adult motor cortex plasticity during motor skill learning. Nature, 377(6545), 155–158.
Squire, L. R., & Zola, S. M. (1996). Structure and function of declarative and nondeclarative memory systems. Proceedings of the National Academy of Sciences, 93(23), 13515–13522.
DocCheck Flexikon. (o. J.). Prozedurales Gedächtnis. Abgerufen am 9. Oktober 2025 von https://flexikon.doccheck.com/de/Prozedurales_Ged%C3%A4chtnis](https://flexikon.doccheck.com/de/Prozedurales_Ged%C3%A4chtnis
StudySmarter. (o. J.). Prozedurales Gedächtnis: Definition & Gehirn. Abgerufen am 9. Oktober 2025 von https://www.studysmarter.de/schule/psychologie/forschung-der-gedaechtnis/prozedurales-gedaechtnis/](https://www.studysmarter.de/schule/psychologie/forschung-der-gedaechtnis/prozedurales-gedaechtnis/‘
Walker, M. P., Brakefield, T., Hobson, J. A., & Stickgold, R. (2002). Dissociable stages of human skill learning: Evidence for the dual-system model of sleep-dependent memory consolidation. Neuron, 35(1), 205–211.