Lange Zeit galten Astrozyten als die stillen Helfer des zentralen Nervensystems, zuständig für Stoffwechselprozesse, das Aufrechterhalten des extrazellulären Milieus und das Entfernen neuronaler Abfallstoffe. Doch ein Paradigmenwechsel in der neurowissenschaftlichen Forschung bringt diese glialen Zellen zunehmend in das Zentrum der Aufmerksamkeit. Jüngste Studien vonGuttenplan et al. (2025). belegen, dass Astrozyten nicht nur strukturelle und metabolische Unterstützung leisten, sondern aktiv in die synaptische Signalverarbeitung eingreifen und damit Verhalten und Gehirnaktivität entscheidend beeinflussen.
Neuere Untersuchungen unter anderem an Fruchtfliegen, Nagetieren und kultivierten menschlichen Zellen, zeigen, dass Astrozyten über G-Protein-gekoppelte Rezeptoren (GPCRs) Signale von Neurotransmittern wie Dopamin, Glutamat oder dem Noradrenalin-Homolog Tyramin detektieren und darauf in Echtzeit reagieren können. Diese Fähigkeit erlaubt es den Zellen, neuronale Signale zu filtern, zu modulieren und in spezifischen Situationen sogar zu priorisieren – etwa bei akuten Gefahrenreizen, wenn eine schnelle neuronale Reaktion erforderlich ist. Ein zentrales Ergebnis der Untersuchung ist das sogenannte „gating“ der Astrozytenantwort: Erst durch adrenerge Signale – vermittelt über GPCRs – werden Astrozyten überhaupt empfänglich für andere Neurotransmitter. Diese Schaltfunktion wirkt wie ein neuronales Tor, das den Zugang zu nachfolgenden Signalkaskaden regelt. Bemerkenswert ist, dass dieser Mechanismus nicht nur in Fruchtfliegenlarven, sondern auch in Säugerzellen nachgewiesen wurde. Dies legt nahe, dass es sich um eine evolutionär konservierte Strategie handelt, die möglicherweise auch beim Menschen eine zentrale Rolle in der Informationsverarbeitung des Gehirns spielt.
Die Daten legen nahe, dass Dysfunktionen in der Kommunikation zwischen Astrozyten und Neuronen zu kognitiven Beeinträchtigungen führen können – ein Befund, der die Grundlage für neue Therapieansätze bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson bilden könnte. In Tiermodellen führte die gezielte Manipulation der Astrozyten-Signalwege zu deutlichen Verhaltensänderungen, was ihr Potenzial als Zielstruktur für pharmakologische Interventionen unterstreicht. Damit rücken Astrozyten aus dem Schatten der Neuronen in den Fokus neurobiologischer Grundlagenforschung, denn ihre Rolle als dynamische Schaltstellen neuronaler Netzwerke verändert das Verständnis darüber, wie das Gehirn Reize verarbeitet, Informationen priorisiert und sich flexibel an neue Situationen anpasst.
Literatur
Guttenplan, K. A., Maxwell, I., Santos, E., Borchardt, L. A., Manzo, E., Abalde-Atristain, L., Kim, R. D. & Freeman, M. R. (2025). GPCR signaling gates astrocyte responsiveness to neurotransmitters and control of neuronal activity. Science, 388, 763–768.
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