Die Rolle des Schlafs im Kontext der Gedächtnisbildung wird seit Jahren intensiv untersucht, doch aktuelle Forschungsergebnisse erweitern das Verständnis dieses komplexen Prozesses erheblich, denn während lange bekannt ist, dass das Gehirn im Schlaf Erinnerungen verarbeitet und festigt, zeigte eine Studie von Ghandour et al. (2025), dass der Schlaf auch aktiv zur Vorbereitung auf das Abspeichern zukünftiger Erinnerungen beiträgt. Im Mittelpunkt der Studie standen Engrammzellen – spezialisierte Neuronen, die als biologische Speicherorte für Erinnerungen fungieren. Diese Zellen bilden neuronale Netzwerke, in denen konkrete Erlebnisse physisch verankert sind. Die Untersuchung zeigte nun, dass Schlaf nicht nur zur Konsolidierung bereits bestehender Erinnerungen dient, sondern auch dazu, neue Engrammzellen für künftige Erinnerungen vorzubereiten, was durch synchrone Aktivitätsmuster in neuronalen Netzwerken während verschiedener Schlafphasen geschieht.
Man nutzte dabei am Mausmodell zwei innovative Verfahren: Zum einen ein bildgebendes System, das Kalziumströme in lebenden Zellen sichtbar macht, zum anderen eine Technik, mit der sich Engrammzellen gezielt aktivieren oder deaktivieren lassen. Dies ermöglichte es, die Aktivität einzelner Neuronen über Zeiträume vor und nach einem Lernereignis sowie während des Schlafs zu verfolgen. Es zeigte sich, dass Engrammzellen, die bereits existierende Erinnerungen speicherten, im Schlaf erneut aktiv wurden– ein bekanntes Zeichen für die Gedächtniskonsolidierung. Gleichzeitig aber zeigte auch eine andere Gruppe von Nervenzellen Aktivität, obwohl sie bisher keine Erinnerungen gespeichert hatte. Später stellte sich heraus, dass genau diese Zellen beim Abspeichern neuer Erinnerungen eingesetzt wurden. Ein zentrales Ergebnis der Studie ist also die Entdeckung präkonfigurierter Ensembles im Hippocampus, also synchrone Aktivitätsmuster in Nervenzellen, die bereits vor dem Lernen auftreten und später genau jene Zellen betreffen, die neue Informationen speichern. Das lässt darauf schließen, dass das Gehirn in Ruhephasen gezielt neue Engrammzellen vorbereitet – ein Prozess, der auf synaptische Plastizität, insbesondere auf synaptische Depression und Skalierung, zurückgeführt wird. Diese parallele Verarbeitung – die Reaktivierung bestehender Erinnerungen und die Vorbereitung auf neue – wird während der Offline-Phasen im Schlaf organisiert, was bedeutet, dass das Gehirn in Ruhe nicht bloß passiv ist, sondern gezielt neuronale Netzwerke formt und umbaut, um sowohl alte als auch neue Informationen effizient zu verarbeiten.
Man muss daher den Schlaf nicht nur als Erholungsphase, sondern als aktive Phase kognitiver Organisation verstehen. Die Entdeckung, dass das Gehirn im Schlaf nicht nur das Vergangene stärkt, sondern sich auch gezielt auf das Zukünftige vorbereitet, eröffnet neue Perspektiven für die Neurobiologie des Lernens und die Optimierung geistiger Leistungsfähigkeit.
Literatur
Ghandour, K., Haga, T., Ohkawa, N., Fung, C. C. A., Nomoto, M., Fayed, M. R., Asai, H., Sato, M., Fukai, T. & Inokuchi, K. (2025). Parallel processing of past and future memories through reactivation and synaptic plasticity mechanisms during sleep. Nature Communications, 16, 3618.
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