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Der Zusammenhang zwischen Händigkeit und neurologischen Entwicklungsstörungen

    Unterschiede in der Händigkeit – insbesondere Links- und Gemischthändigkeit – treten bei bestimmten psychischen und neurologischen Erkrankungen überdurchschnittlich häufig auf. Besonders auffällig ist dies bei Störungen, die früh im Leben auftreten und mit sprachlichen Symptomen einhergehen. Bereits in der klinischen Praxis war daher wiederholt beobachtet worden, dass Menschen mit Erkrankungen wie Autismus-Spektrum-Störungen, Dyslexie oder Schizophrenie häufiger eine atypische Händigkeit zeigen. Dieser Zusammenhang wurde bislang jedoch nicht einheitlich durch wissenschaftliche Studien gestützt. Die neue Metaanalyse von Packheiser et al. (2025) untersuchte 402 Datensätze mit insgesamt über 200.000 Teilnehmenden und liefert nun robuste Belege: Im Vergleich zu gesunden Kontrollgruppen treten nicht-rechte, linke und gemischte Händigkeit bei betroffenen Personen signifikant häufiger auf. So zeigte sich etwa für gemischte Händigkeit ein Odds Ratio (OR) von 1.63 (95% CI [1.38, 1.93]), für linke Händigkeit ein OR von 1.34 (95% CI [1.22, 1.48]) und für nicht-rechte Händigkeit insgesamt ein OR von 1.46 (95% CI [1.35, 1.59]).

    Die Verbindung zwischen atypischer Händigkeit und bestimmten Diagnosen wird dabei durch zwei Hauptfaktoren moderiert: die frühe Manifestation der Erkrankung und das Vorhandensein sprachbezogener Symptome. So lassen sich erhöhte Raten abweichender Händigkeit insbesondere bei Entwicklungsstörungen wie Autismus, Dyslexie und Schizophrenie nachweisen. Alle drei Erkrankungen beginnen typischerweise bereits im Kindes- oder Jugendalter und beinhalten Störungen der Sprache oder Kommunikation. Diese Gemeinsamkeit legt nahe, dass Händigkeit und Sprache in ihrer Entwicklung im Gehirn miteinander verknüpft sind – eine Hypothese, die auch durch neurobiologische Befunde gestützt wird, da beide Funktionen oft hemisphärenspezifisch organisiert sind.

    Ein besonders interessanter Befund der Studie betrifft die Unterscheidung zwischen neurodevelopmentalen und nicht-neurodevelopmentalen Störungen. Während bei spät einsetzenden Erkrankungen wie Depressionen kein signifikanter Zusammenhang zur Händigkeit festgestellt wurde, war dieser bei früh einsetzenden, sprachlich geprägten Störungen ausgeprägt vorhanden. Dies deutet darauf hin, dass die kritischen Zeitfenster der Hirnentwicklung eine zentrale Rolle spielen. Früh auftretende Störungen könnten durch Entwicklungsprozesse beeinflusst werden, die auch die Händigkeit formen – beispielsweise durch asymmetrische Reifung bestimmter Hirnareale oder genetische Faktoren, die sowohl Sprachverarbeitung als auch motorische Präferenzen betreffen.

    Die Ergebnisse dieser Metaanalyse legen eine transdiagnostische Perspektive auf psychische und neurologische Erkrankungen nahe, sodass atypische Händigkeit nicht nur ein Nebenaspekt einzelner Störungsbilder ist, sondern ein möglicher Indikator für tiefere entwicklungsneurologische Prozesse. Besonders bei Erkrankungen mit sprachlichen Symptomen und früher Manifestation scheint die Händigkeit ein sensibler Marker für atypische Hirnreifung zu sein.



    Literatur

    Packheiser, J., Borawski, J., Berretz, G., Merklein, S. A., Papadatou-Pastou, M., & Ocklenburg, S. (2025). Handedness in mental and neurodevelopmental disorders: A systematic review and second-order meta-analysis. Psychological Bulletin, 151(4), 476–512.


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