Keller & Diekhof (2025) untersuchten, ob der bloße Anblick von kranken Menschen, die niesen oder andere sichtbare Symptome einer Erkältung zeigen, eine Immunreaktion im Körper auslösen kann, auch wenn keine tatsächliche Infektion vorliegt. Zu diesem Zweck wurden kurze Videos von kranken und gesunden Menschen erstellt, die den Testpersonen gezeigt wurden. Die Forscher maßen dabei sowohl die Gehirnaktivität als auch die Freisetzung von sekretorischem Immunglobulin A (slgA), einem Antikörper, der besonders bei der Abwehr von Atemwegserregern eine Rolle spielt. Die Ergebnisse der Studie zeigten, dass der Anblick von kranken, niesenden Menschen eine Aktivierung der vorderen Insula im Gehirn auslöste, wobei diese Gehirnregion eng mit der Koordination der Immunreaktionen verbunden ist. Zusätzlich wurde eine signifikante Erhöhung der Freisetzung von slgA festgestellt, was auf eine Reaktion des Immunsystems auf die visuelle Wahrnehmung von Krankheitserregern hinweist.
Interessanterweise zeigte auch die Amygdala, eine Gehirnregion, die mit Angst und emotionaler Reaktion auf Gefahren verbunden ist, eine Aktivierung – jedoch nicht nur bei den Videos von kranken Menschen, sondern auch bei denen, die gesunde Menschen zeigten. Dies deutet darauf hin, dass die Amygdala eher auf die Anwesenheit anderer Menschen reagiert, unabhängig davon, ob sie krank sind oder nicht. Diese Reaktion scheint also Teil einer allgemeinen Wachsamkeit zu sein, die der Mensch im sozialen Umfeld aktiviert, um potenzielle Risiken wie eine Ansteckung frühzeitig zu erkennen.
Die Studie legt nahe, dass das Gehirn in der Lage ist, das Immunsystem schon durch visuelle Hinweise auf ein Ansteckungsrisiko zu aktivieren, ohne dass Keime tatsächlich in den Körper eingedrungen sind. Diese frühzeitige Reaktion des Gehirns und Immunsystems könnte als Schutzmechanismus dienen, um den Körper auf eine mögliche Infektion vorzubereiten. Man vermutet, dass die Insula in diesem Fall als eine zentrale Schaltstelle fungiert, die sowohl die Immunaktivierung im Körper als auch die kognitiven Reaktionen auf die wahrgenommenen Bedrohungen koordiniert. Die Amygdala könnte in diesem Zusammenhang als ein Alarmsystem fungieren, das auf die Präsenz von Menschen achtet und das Risiko einer Übertragung von Krankheiten einschätzt.
Literatur
Keller, J. K., & Diekhof, E. K. (2025). Visual cues of respiratory contagion: Their impact on neuroimmune activation and mucosal immune responses in humans. Brain, Behavior, and Immunity, 125, 398-409. https://doi.org/10.1016/j.bbi.2025.01.016
Impressum ::: Datenschutzerklärung ::: Nachricht ::: © Werner Stangl ::: Pädagogische Neuigkeiten für Psychologen :::