Die Frage, wie Erinnerungen im menschlichen Gehirn langfristig gespeichert werden, ist seit langem ein zentrales Thema der Neurowissenschaften. Eine neue Studie liefert nun entscheidende Erkenntnisse darüber, wie langsame Erregungswellen im Schlaf – sogenannte „Slow Waves“ – die synaptische Konsolidierung von Gedächtnisinhalten fördern. Slow Waves, auch als Slow Oscillations bezeichnet, sind im EEG messbare, langsame Erregungswellen, die typischerweise im Tiefschlaf auftreten. Sie werden mit der Gedächtniskonsolidierung und der Erhöhung der neuronalen Plastizität in Verbindung gebracht. Der Begriff „Deltawellen“ bezieht sich auf ein spezifisches Frequenzband dieser langsamen Erregungswellen und wird auch in anderen Kontexten, wie etwa bei neurologischen Erkrankungen, verwendet. Diese Entdeckungen könnten auch Auswirkungen auf therapeutische Ansätze zur Verbesserung der Gedächtnisleistung haben. Bereits seit fast 20 Jahren ist bekannt, dass langsame, synchrone Erregungswellen im Tiefschlaf die Gedächtnisbildung unterstützen. Diese sogenannten Slow Waves sind elektrische Spannungsschwankungen, die die Nervenzellen in der Hirnrinde synchronisiert aktivieren. Während des Schlafs werden Informationen aus dem Kurzzeitgedächtnis, das im Hippokampus gespeichert wird, in das Langzeitgedächtnis in der Hirnrinde übertragen. Doch wie genau diese Prozesse ablaufen, war bislang unklar.
Mittermaier et al. (2024) haben nun mit einer bahnbrechenden Studie diese Prozesse näher untersucht. Die Forscher konzentrierten sich auf die Auswirkungen der langsamen Erregungswellen auf die synaptische Kommunikation zwischen Neuronen der Hirnrinde. Mit Hilfe von hochpräzisen Patch-Clamp-Aufzeichnungen aus menschlichem Hirngewebe konnten sie zeigen, dass diese Slow Waves die synaptischen Verbindungen temporär verstärken und die neuronale Aktivität optimieren. Die Wissenschaftler verwendeten dabei Gewebeproben von 45 Patient:innen, die sich einer neurochirurgischen Behandlung unterzogen hatten. Mit einer speziellen Technik, der sogenannten Multipatch-Technik, konnten sie gleichzeitig die Aktivität von mehreren Neuronen messen. Die Ergebnisse zeigten, dass die Synapsen besonders effektiv arbeiten, wenn die Spannung in den Nervenzellen nach einem niedrigen Niveau schnell auf ein hohes Niveau ansteigt – ein Zustand, der durch die Slow Waves im Tiefschlaf erzeugt wird. Dieser kurze Zeitraum, in dem die Synapsen am effizientesten arbeiten, macht die Hirnrinde besonders empfänglich für neue Informationen und erleichtert die Speicherung von Erinnerungen ins Langzeitgedächtnis.
Die Erkenntnisse dieser Studie könnten nicht nur unser Verständnis der Gedächtniskonsolidierung verbessern, sondern auch neue therapeutische Ansätze zur Unterstützung der Gedächtnisbildung eröffnen. Zum Beispiel wird derzeit weltweit an Methoden gearbeitet, die mittels gezielter Stimulation – etwa durch transkranielle Elektrostimulation oder akustische Signale – die Slow Waves im Schlaf beeinflussen, um das Gedächtnis zu fördern. Die genaue Kenntnis des „perfekten Timings“ der Slow Waves, das die Forscher nun ermittelt haben, könnte dabei helfen, diese Stimulationsmethoden effizienter zu gestalten. Die Studie zeigt also, dass langsame Erregungswellen im Schlaf eine zentrale Rolle bei der Verstärkung synaptischer Verbindungen spielen und das Gedächtnis langfristig stabilisieren. Diese Erkenntnisse erweitern demnach das Verständnis der Gedächtniskonsolidierung und könnten neue Ansätze zur Behandlung von Gedächtnisstörungen, insbesondere im Alter, eröffnen.
Literatur
Mittermaier, F. X., Kalbhenn, T., Xu, R., Onken, J., Faust, K., Sauvigny, T., Thomale, U. W., Kaindl, A. M., Holtkamp, M., Grosser, S., Fidzinski, P., Simon, M., Alle, H., Geiger, J. R. P. (2024). Membrane potential states gate synaptic consolidation in human neocortical tissue. Nature Communications, 15, doi:10.1038/s41467-024-53901-2
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