Forschungen zeigen, dass ein entwicklungsgeschichtlich alter Bereich des Stammhirns bei der Entstehung von Glaubensvorstellungen eine wichtige Rolle spielt, wobei religiöses Empfinden vermutlich auch für das Überleben der frühen Menschen möglicherweise ein entscheidender evolutionärer Vorteil war. Glaubensvorgänge sind offenbar eine eigene Funktion des Gehirns, wobei solche Glaubensvorgänge bzw. Creditionen selbst nicht religiös sind und auch nichts mit Religion zu tun haben müssen.
Glaubensvorgänge werden von Irritationen ausgelöst, denn erst diese ermöglichen dem Menschen zu handeln, und über das konkrete Handeln sieht der Mensch dann, ob er richtig oder falsch geglaubt hat. Angel (2022) nennt das Beispiel eines Kleinkindes, das gegen eine Wand läuft, wobei sich Schmerz, der visuelle Eindruck der Wand und die Empfindung von etwas Hartem und Festen verbinden. Aus solchen Erfahrungen, im Zusammenwirken von Kognition und Emotion, ergibt sich danach eine Vorstellung, an die man fortan fest glaubt, dass man eben nicht durch Wände gehen kann.
Es gibt mehrere Gehirnregionen, die bei solchen Glaubensprozessen aktiv werden, wobei Glaubensvorgänge immer emotional konnotiert sind, daher dem Bewusstsein teilweise nicht zugänglich sind. Oft entstehen dabei dysfunktionale Kognitionen, d. h., Menschen glauben etwas, das für sie überhaupt nicht hilfreich ist. Wenn etwa ein Mensch fest davon überzeugt ist, dass ihn niemand mag, dann beeinträchtigt ihn das, weil er dann negative Gefühle entwickelt und dadurch möglicherweise niedergeschlagen ist. Ein solcher Glaube kann daher auch negative Auswirkungen auf Menschen haben.
Glaubensvorstellungen entwickeln sich in der Regel im Dialog zwischen Menschen, etwa durch Ausübung von Ritualen oder häufige Wiederholung von Ideen, wobei konzeptuelle Glaubensvorstellungen (conceptual beliefs) entstehen. Religionen nutzen ja bekanntlich Wiederholung und Emotion, um Glaubensprozesse einzuleiten und den Glauben zu stabilisieren, wenn etwa Menschen in der katholischen Kirche eine Kniebeuge machen, in den Weihwasserkessel greifen und ein Kreuz schlagen, oder in der Moschee sich vor dem Gebet die Hände waschen oder zum Gebet auf einen Teppich knien. Hinzu kommt dann noch das Läuten von Kirchenglocken oder die Stimmung, die der gemeinsame Gesang in einer nachhallenden Kirche erzeugt. Da solche Prozesse häufig ablaufen, stabilisieren sich Muster im Gehirn, was dazu führt, dass sich bei Menschen dann bestimmte Glaubensvorstellungen sehr verfestigen. Glaubensvorstellungen dienen demnach auch zur Stabilisierung von Werthaltungen, zur Erklärung des vermeintlich Unerklärlichen, also innerhalb einer Religion koordiniertes kollektives Handeln erst ermöglichen.
Literatur
Angel, H. F. (2022). Credition. Fluides Glauben. Kultur- und Wissenschaftsgeschichte von einem blinden Fleck und seinem Ende. Baden-Baden: Deutscher Wissenschaftsverlag.
Newberg, A., D’Aquili, E. & Rause, V. (2004). Der gedachte Gott. Wie Glaube im Gehirn entsteht. München: Piper Verlag.
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