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Introversion ist nicht gleich Introversion

    Guilford wies in den 1930er Jahren nach, dass die verschiedenen Versuche, Jung’sche und andere Konzeptualisierungen von Introversion und Extroversion in Persönlichkeitsfragebögen umzusetzen, zu mehrdeutigen Multifaktorenskalen führten. Vorgeschlagene Messmodelle, die Introvertiertheit in Komponenten unterteilen, führten zu hitzigen, aber ergebnislosen Debatten, wie der Austausch zwischen Eysenck und Guilford im Jahr 1977 zeigt und in der Kritik von Lucas, Diener, Grob, Suh und Shao (2000) durch Ashton, Lee und Paunonen (2002) erneut deutlich wird. Carrigan (1960) argumentierte, dass Introversion nicht effektiv als einheitliches Konstrukt erfasst wurde, und der Druck, Introversion mit einem umfassenden konzeptionellen und operativen Modell klar zu definieren, hält an. Die vielen Bedeutungen von Introvertiertheit stellen die Forscher von heute vor ein ungelöstes Dilemma: Trotz der anhaltenden konzeptionellen Unklarheit und des Fehlens eines allgemein akzeptierten Messmodells scheinen das Interesse an dem Thema und die Nachfrage nach Messinstrumenten zu steigen, wobei etwa das Ziel der Untersuchung von Grimes, Cheek & Norem (2011) war, zu den Empfehlungen früherer Psychologengenerationen wie Guilford und Guilford (1934) und Murray (1938) zurückzukehren, wonach vier oder fünf Faktoren erforderlich sein könnten, um die bedeutsamen Unterschiede innerhalb der breiten Persönlichkeitsdimension „Introversion-Extraversion“ zu erfassen. Die Autoren und Autorinnen haben dafür zeitgenössische Persönlichkeitsmessungen identifiziert, die sinnvollerweise in Messbereiche eingeteilt werden können, die kohärente Bedeutungen von „Introversion“ widerspiegeln.

    • Soziale Introvertierte verbringen eigentlich gerne Zeit mit sich selbst, d. h. sie sind selten auf großen Partys anzutreffen, wenn sie es vermeiden können. Sie ziehen es vor, mit ihren Vertrauten in kleineren Gruppen Zeit zu verbringen. Auf jeden Fall entsprechen soziale Introvertierte der klassischen Definition, dass sie sich durch das Alleinsein entspannen, wobei sie zwar gelegentliche Treffen mit Freunden genießen können, sich danach aber in der Regel davon erholen müssen (sozialer Kater).
    • Nachdenkliche Introvertierte leben ein wenig in ihrer eigenen Welt und fühlen sich am wohlsten, wenn sie in Ruhe lesen, forschen, kreativ sein oder einfach nur: nachdenken können. In Gesprächen passiert es ihnen manchmal, dass sie in ihren Gedanken abdriften oder sich in ihrer Gedankenwelt verlieren, wobei sie auf andere oft besonnen und ruhig wirken. Sie werden als gute Zuhörer geschätzt. Nachdenkliche Introvertierte sollten ihre Bedürfnisse jedoch klar kommunizieren, denn ein Gegenüber kann eine kurze Gesprächspause als Aufforderung verstehen, weiter zu reden, obwohl der Introvertierte eigentlich eine Denkpause braucht.
    • Ängstliche Introvertierte werden in großen Gruppen, bei Veranstaltungen oder wenn sie im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen, schnell nervös und gestresst. Diese Menschen ziehen sich deshalb oft noch mehr zurück als andere, wobei die Umwelt, und hier vor allem extrovertierte Menschen, dieses Verhalten missverstehen und manchmal als Unhöflichkeit empfinden, obwohl dieses Verhalten ein reiner Schutzmechanismus ist, um solche für sie belastenden Situationen zu vermeiden. Ängstliche Introvertierte neigen dazu, zu grübeln und über vergangene Ereignisse sowie über Dinge, die in der Zukunft passieren könnten, nachzudenken.
    • Zurückhaltende Introvertierte haben oft Angst, in Gesellschaft etwas Falsches zu sagen oder zu tun, weshalb sie oft kontrolliert und geerdet wirken und als sehr zuverlässig gelten. Zurückhaltende Introvertierte zeigen oft sehr wenig Emotionen und reflektieren sich selbst sehr genau. Vor allem beim ersten Kennenlernen dauert es meist eine Weile, bis sie sich öffnen. Diese zurückhaltenden Menschen legen viel Wert auf ihre Routine und wissen gerne, was sie erwartet, denn so können sie sich entspannen und geben einen Teil ihrer Kontrolle ab.



    Literatur

    Grimes, Jennifer, Cheek, Jonathan & Norem, Julie (2011). Four Meanings of Introversion: Social, Thinking, Anxious, and Inhibited Introversion. Presented at Annual Meeting of the Society for Personality and Social Psychology. San Antonio, TX.


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