Nach Curran & Hill (2019) hat das Streben nach körperlicher, geistiger und beruflicher Perfektion bei Studenten und Studentinnen im Vergleich zu früheren Generationen deutlich zugenommen, was sich möglicherweise negativ auf die psychische Gesundheit der jungen Menschen auswirkt. Man analysierte dabei die Daten von über vierzigtausend amerikanischen, kanadischen und britischen College-Studenten, die von Ende der 1980er Jahre bis 2016 die Multidimensionale Perfektionismus-Skala ausfüllten, einem Test für generationsbedingte Veränderungen im Perfektionismus. Gemessen wurden drei Arten von Perfektionismus: selbstorientiert, d. h., der irrationale Wunsch, perfekt zu sein; sozial vorgeschrieben, d. h. die Wahrnehmung überzogener Erwartungen von anderen; und fremdorientiert, d. h. das Aufstellen unrealistischer Standards für andere.
Es zeigte sich in den Ergebnissen, dass jüngere Generationen von College-Studenten deutlich höhere Werte für jede Form von Perfektionismus angaben als frühere Generationen, denn so stieg zwischen 1989 und 2016 der Wert für selbstbezogenen Perfektionismus um 10 Prozent, für sozial vorgeschriebenen Perfektionismus um 33 Prozent und für fremdbezogenen Perfektionismus um 16 Prozent.
Einer der verantwortlichen Faktoren ist vermutlich die vermehrte Nutzung sozialer Medien, was junge Erwachsene unter Druck setzt, sich im Vergleich zu anderen zu perfektionieren, was sie unzufrieden mit ihrem Körper macht und die soziale Isolation verstärkt. Der Drang, Geld zu verdienen, der Druck, eine gute Ausbildung zu erhalten, und das Setzen von hochgesteckten Karrierezielen sind weitere Bereiche, in denen die Jugendlichen von heute Perfektionismus an den Tag legen. Übrigens ist gleichzeitig mit dem Perfektionismus der jungen Menschen auch die Erwartungen der Eltern an ihren Nachwuchs kontinuierlich gewachsen, auch wenn es wohl keinen messbaren direkten Zusammenhang zwischen elterlichen Ansprüchen und dem Perfektionismus bei jungen Menschen gibt. Eher geht der Anstieg des Perfektionismus der jungen Menschen auf den wachsenden gesellschaftlichen Druck in einer globalisierten Welt zurück.
Insgesamt stellt die Meritokratie – also die zentrale Gerechtigkeitskonzeption der westlichen Gesellschaften, dass die gesellschaftliche Position wie Bildungsabschlüsse, Einkommen, Prestige von der persönlichen Leistung des einzelnen abhängt – für junge Menschen ein starkes Bedürfnis dar, sich zu bemühen, Leistung zu erbringen und im modernen Leben etwas zu erreichen, wobei junge Menschen darauf reagieren, indem sie zunehmend unrealistische Erwartungen an sich selbst in Bezug auf Ausbildung und Beruf stellen. Diese Zunahme des Strebens nach Perfektionismus kann sich teilweise auf die psychische Gesundheit der StudentInnen auswirken, also in Form von Depressionen, Angstzuständen und Selbstmordgedanken.
Literatur
Curran, T. & Hill, A. (2019). Perfectionism Is Increasing Over Time: A Meta-Analysis of Birth Cohort Differences From 1989 to 2016. Psychological Bulletin, 145, 410.
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