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Gutachten in der Forensik: Prognose vs. Risikoeinschätzung

     € 40,00

    Die Anforderungen an psychiatrische oder psychologische Risikoeinschätzungen in der Forensik sind wesentlich gestiegen, denn es genügt nicht mehr, Chancen und Risiken für ein künftiges Legalverhalten bestmöglich zu erfassen, denn Risikoeinschätzung ist Voraussetzung für das Risikomanagement, Risikomanagement notwendige Folge einer Risikoeinschätzung. Prognosen sagen voraus, was geschehen wird, ihre Richtigkeit erweist sich, wenn das eintrifft, was vorausgesagt wurde, Risikoeinschätzungen hingegen dienen dazu aufzuzeigen, was sich ändern muss, damit eine Gefahr nicht zur Realität wird, sondern abgewendet werden kann. Sie sind Voraussetzungen für ein optimales oder zumindest adäquates Risikomanagement. Ihre Richtigkeit erweist sich also dann, wenn die Gefahr, die befürchtet wurde, vermieden oder verhindert wurde.

    Psychiatrisch-psychologische Gutachten sind bekanntlich durchaus fehleranfällig, vor allem, wenn sie eine Prognose stellen sollen, doch nicht allein die wissenschaftliche Expertise entscheidet über die Qualität, sondern qualifizierte Prognostiker sind nach Ansicht von Nedopil et al. (2021) intelligent, haben ein Verständnis für Zahlen und können analytisch denken. Sie sind neugierig und offen für neue Erfahrungen, haben Freude daran, mentale Herausforderungen zu meistern, sind in der Lage zum Perspektivwechsel und fähig zur Meinungsänderung, wenn neue Informationen dies erfordern. Schließlich können sie unterschiedliche Perspektiven und Denkmöglichkeiten zusammenfassen. Sie arbeiten sorgfältig und reflektiert und können ihre Arbeitsschritte begründen, und sie achten darauf, dass sie ihr automatisches Schlussfolgern in Schach halten.
    Gute Prognostiker sind aktiv aufgeschlossen und verhalten sich wie ein System, das stets verbesserungsbedürftig ist, d.h., sie streben ständig nach einer Verbesserung ihrer Fähigkeiten und sind der Überzeugung, dass man sich verbessern muss und kann. Sie wissen, dass prognostische Entscheidungen immer mit Unsicherheiten verbunden sind; sie sind daher vorsichtig und bescheiden, da ihnen auch die Komplexität der möglichen realen Entwicklungen bewusst ist. Sie gehen davon aus, dass nichts vorherbestimmt ist und das meiste sich in mehrere Richtungen entwickeln kann. Deterministisches Denken ist für Gutachter unangebracht und kennen die möglichen kognitiven und emotionalen Fehlschlüsse.

    Arten der Prognose in der psychologisch-psychoarischen Forensik

    Die Krankheitsprognose beantwortet die Frage, ob und mit welcher Wahrscheinlichkeit Patienten mit bestimmten Krankheiten wieder genesen werden oder ob und mit welcher Wahrscheinlichkeit sie krank bleiben oder noch kränker werden.
    Die Behandlungsprognose besagt, ob und mit welcher Wahrscheinlichkeit Symptome von Patienten mit einer bestimmten Störung durch eine Behandlung gebessert werden. In der forensischen Psychiatrie bezieht sich die Behandlungsprognose vorwiegend auf die Frage, ob künftiges kriminelles oder gefährliches Verhalten durch die Behandlung vermieden werden kann.
    Die Sozialprognose ist der umfassendste Begriff, der im Zusammenhang mit prognostischen Fragestellungen in der forensischen Psychiatrie verwendet wird. Sie beantwortet die Frage, ob und mit welcher Wahrscheinlichkeit sich Menschen sozial integrieren und in welchem sozialen Umfeld sie sich in Zukunft bewegen werden. Die Sozialprognose bezieht sich sowohl auf die Arbeitswelt, die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse als auch auf Konflikte mit den gesellschaftlichen Normen oder deren Ausbleiben.
    Die Legalprognose beantwortet die Frage, ob und mit welcher Wahrscheinlichkeit Menschen sich in Zukunft innerhalb des gesetzlichen Rahmens konfliktfrei bewegen oder mit den Gesetzen in Konflikt geraten werden. Kriminalprognose und Legalprognose sind weitgehend identisch, der Begriff der Legalprognose ist allerdings etwas weiter, weil er auch Konflikte mit dem Gesetz, die sich nicht als Kriminalität auswirken, umfasst, und die z.B. zu einer präventiven Unterbringung oder dem Widerruf einer Bewährung führen.
    Die Kriminalprognose beantwortet die Frage, ob ein Mensch, eine bestimmte Gruppe von Menschen oder bestimmte Bevölkerungsanteile in Zukunft überhaupt kriminell werden, und zwar unabhängig von der Frage, ob sie bislang kriminell waren.
    Die Gefährlichkeitsprognose beantwortet die Frage, ob ein Mensch, eine bestimmte Gruppe von Menschen oder ein bestimmter Bevölkerungsanteil in Zukunft eine Gefahr für andere darstellen werden, und zwar je nachdem, wie Gefahr definiert wird, und wiederum unabhängig von der Frage, ob sie bislang schon eine Gefahr verwirklicht haben. Üblicherweise wird in der forensischen Psychiatrie unter Gefährlichkeit eine Gewalttätigkeit oder ein sexueller Übergriff verstanden. Gefährlichkeitsprognosen müssen im klinischen Alltag der Psychiatrie häufig abgegeben werden, z.B. bei Unterbringungen auf geschlossenen Stationen oder bei Anwendungen der Unterbringungsgesetze oder bei Selbst- oder Fremdgefährdung.
    Die Rückfallprognose beantwortet die Frage, ob Menschen, die bereits Delikte begangen haben, weitere Straftaten begehen werden. Die Vergleichspopulation für Rückfallprognosen sind somit alle Straftäter, wobei die Definition und Erfassung des Rückfalls in der Wissenschaft unterschiedlich vorgenommen werden kann.



    Literatur

    Nedopil, N., Endrass, J., Rossegger, A. & Wolf, Th. (2021). Prognose – Risikoeinschätzung in Forensischer Psychiatrie und Psychologie. Ein Handbuch für die Praxis. Pabst.


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