Vorbemerkung: Um sich effektiv in der Welt zurechtzufinden, bedarf es nicht nur eines guten Gedächtnisses, sondern auch des klugen Vergessens, Filterns und Aussortierens von Fakten und Ereignissen, vor allem in einer Zeit, in der digitale und andere Medien den Alltag mit Informationen überladen und fragmentieren. Aus Informationen sinnvolles Wissen zu machen, bedeutet aber immer, eine Auswahl zu treffen, statt möglichst viele Informationen zu speichern, denn was man erlebt, muss man in vertretbarer Zeit analysieren können, und dies gelingt nur, indem man sich auf einige wenige Dinge konzentriert und Details weglässt. Ohne eine selektive Sinnesverarbeitung, ohne eine selektive Aufmerksamkeit, aber auch ohne ein selektives Gedächtnis, das manche oft als schlechtes bezeichnen, ist niemand imstande, aus der Flut von Informationen Sinnhaftes zu erschließen. Vergessen ist daher keine Fehlentwicklung des Gedächtnisses, sondern ein integraler Bestandteil. So frustrierend das Vergessen für manche Menschen erscheint, es ist eine essentielle Eigenschaft des Gedächtnisses, und man kann diese Art des Auswählens verbessern und neu erlernen. Beim Vergessen spielen zwei Phänomene eine zentrale Rolle: das Kurzzeitgedächtnis und das Langzeitgedächtnis. Damit sich eine Erinnerung festigen kann, muss sie vom Kurzzeitgedächtnis ins Langzeitgedächtnis transportiert werden (Konsolidierung), wobei die Konsolidierung ein dynamischer Prozess ist. Wenn die Erinnerung wieder hervorgerufen wird, wird sie im Kurzzeitgedächtnis neu aktiviert, aber um dann wieder ins Langzeitgedächtnis übertragen zu werden, muss sie aufs Neue konsolidiert werden (Rekonsolidierung). Während der Rekonsolidierung kann die Erinnerung verändert werden und kann theoretisch dabei auch vergessen werden.
1885 publizierte Hermann Ebbinghaus als ein Pionier der Gedächtnisforschung die Vergessenskurve, die seither in ihrem Verlauf immer wieder bestätigt wurde. Sie besagt z.B., dass vier Tage nach einem Erlebnis wir uns nur noch an rund ein Viertel dessen erinnern, was sich tatsächlich zugetragen hat. Je weiter ein Geschehen zurückliegt, desto lückenhafter und auch verschwommener sind die Erinnerungen, denn an Situationen, die vor einigen Tagen stattfanden, erinnert man sich teilweise nur noch zu 75 Prozent präzise. An weiter zurückliegende Ereignisse wie etwa an Eindrücke aus seiner Kindheit oder Geburt erinnert man sich überhaupt nicht mehr. Dafür ist zum Teil die damals noch nicht abgeschlossene Entwicklung des Gehirns verantwortlich, aber auch die meist völlig andere Umgebung, da man zu dem damals Erlebten den Kontext nicht mehr herstellen kann, der ein wichtiges Brückenglied für Erinnerungen darstellt. Ein solcher Umgebungswechsel vollzieht sich in gewisser Weise auch, wenn Menschen größer werden, denn als Kind nehmen wir die Umgebung aus einer tiefergelegenen Perspektive wahr. So erscheinen Menschen, Möbel und Häuser meist riesig und erst wenn der Mensch größer wird, schrumpft die Umgebung auf das vertraute Maß.
Auch wenn Menschen etwas lernen, tun sie das immer in einer bestimmten Umgebung, einem Kontext. Ändert sich diese Kontextumgebung, fällt es viel schwerer, das Gelernte zu erinnern. Ein Student an seinem Schreibtisch kann in der Regel mehr von dem Prüfungsstoff wiedergeben als im Büro des Prüfers an der Universität – von der Aufregung einmal abgesehen. Siehe dazu den Lerntipp Wie heißt die Hauptstadt von …
Allerdings vergisst man bedeutende Ereignisse nicht so schnell, etwa den ersten Kuss, eine schwere Operation oder ein Autounfall. Noch Jahrzehnte später haben Betroffene solche Ereignisse klar und deutlich vor ihrem inneren Auge. Offenbar bleiben emotionale Erlebnisse besonders lang und detailreich im Gedächtnis haften, während unbedeutende Erlebnisse, die nur Tage oder Wochen zurückliegen, rasch vergessen werden oder lediglich als unscharfe Erinnerungen überleben. Eotionale Erlebnissen wie einer Hochzeit, einer nicht bestandene Prüfung oder ein erlebter Unfall graben sich tief ins Gedächtnis ein und werden selbst nach langer Zeit lebendig und detailreich erinnert. Atucha et al. (2017) haben experimentell nachgewiesen, dass bei diesem Phänomen Noradrenalin eine zentrale Rolle spielt, der bei Emotionen im Gehirn ausgeschüttet wird. In einem Tierexperiment bei Ratten konnte gezeigt werden, dass wenn die Konzentration von Noradrenalin im Gehirn während eine Gedächtnisabspeicherung hoch ist, sich die Tiere vier Wochen danach stärker und genauer an das Erlebte erinnern, als wenn das Niveau dieses Botenstoffs niedrig ist. Solche Erinnerungen sind nach wie vor vom Hippocampus abhängig, also jener Struktur im Gehirn, die für das Abspeichern und Erinnern von detaillierter Information unabdingbar ist. Diese Noradrenalin-Effekte gehen übrigens auch mit epigenetischen Veränderungen in gedächtnisrelevanten Genen im Hippocampus einher.
Allgemein zu sagen, wie weit die menschliche Erinnerung zurückreicht, ist nicht möglich, wobei man aus der Forschung weiß, dass es äußerst unwahrscheinlich ist, dass sich Erwachsene an Erlebnisse vor seinem dritten Lebensjahr erinnert und auch Erinnerungen an Geschehnisse vor dem sechsten Lebensjahr sind meist äußerst unpräzise. Der Gedächtnisforschung ist es weitgehend unbekannt, warum Eindrücke aus frühester Kindheit gar nicht oder nur fragmentarisch im Gedächtnis blieben.
Dass man seiner Erinnerung nicht immer trauen sollte, liegt daran, dass der Mensch dazu neigt, auch nicht selbst Erlebtes in seine Erinnerung zu verweben, da die Lücken in der Erinnerung mit plausiblen Ergänzungen, die aus anderen Erlebnissen stammen, „aufgefüllt“ werden.
Wissenschaftler der Universität Bern haben jüngst in den Neuronen des Gehirns einen Mechanismus nachgewiesen, der möglicherweise für das Vergessen mitverantwortlich ist, wobei ein vom Gehirn selbst produzierter Stoff eine wichtige Rolle spielt. Bestimmte Sternzellen greifen nämlich durch einen körpereigenen Stoff, der Cannabis ähnlich ist, in die Chemie des Gehirns ein, wobei die Verbindung zwischen den Nervenzellen schwächer wird.
Sequenzwiederholung der neuronalen Aktivität beim Erinnern
Tierstudien hatten schon gezeigt, dass bei der Gedächtnisabfrage und -konsolidierung die Sequenzwiederholung der neuronalen Aktivität zugrunde liegen könnte, doch gab es bisher keinen direkten Beweis dafür, dass die Wiederholung von Sequenzen der Neuronen-Aktivität für diese Prozesse im menschlichen Gehirn genau so abläuft. Vaz et al. (2020) zeichneten Einzelspikes, lokale Feldpotenziale und intrakranielle Elektroenzephalographie-Signale im Gehirn auf, während Probanden (sechs Epilepsie-Patienten, die vorübergehend ein Hirnimplantat hatten) eine Gedächtnisaufgabe ausführen mussten. Während der Lernphase folgten die Aktivitäten der Nervenzellen einem bestimmten Muster, wobei Zellen in einer zeitlichen Abfolge nacheinander aktiv waren. Die gleichen Aktivitätsmuster wurden auch bei der Abfrage der gelernten Wörter beobachtet, denn während die Probanden nachdachten, wurden die Muster denen der Lernphase immer ähnlicher, bis ihnen das passende Wort einfiel, wobei in jenen Durchgängen, in denen die Probanden das richtige Wort nicht fanden, diese Angleichung der Muster ausblieb. Offenbar nutzt das Gehirn individuelle Abfolgen neuronaler Aktivitäten, um Erinnerungen abzuspeichern und vergangene Ereignisse wieder abzurufen.
Erinnerung ist die Vorzimmerdame der Verzweiflung.
Warum Vergessen wichtig ist
*** Hier KLICKEN: Das BUCH dazu! *** Der Neurologe Emrah Düzel vom Deutschen Zentrum für Neurogenerative Erkrankungen (DZNE) erklärt in einem Interview mit n-tv, warum es Sinn macht sich nicht perfekt und bis ins Kleinste an alles erinnern können, was man erlebt, denn das ergibt aus evolutionärer Sicht durchaus Sinn. „Ja, stellen wir uns einmal vor: Jede Berührung, jedes Geräusch, jedes Bild – alles, was wir in einem Moment empfinden, wird verlustlos abgespeichert. Das hieße, es würde keinen Unterschied ergeben, ob wir etwas tatsächlich erneut erleben oder uns nur an ein einmaliges Erlebnis erinnern. Die Erinnerung würde reichen; sie wäre absolut real. Eine evolutionäre Katastrophe. Man würde sich permanent in der Erinnerung bewegen. Es gäbe überhaupt keine Motivation mehr, eine Situation nochmal zu erleben – schließlich bringt es keine zusätzliche Qualität. Für soziales Verhalten, Nahrungsaufnahme oder Fortpflanzung wäre das evolutionär fatal. Es ist gut, dass unsere Erinnerungen gut genug sind, um uns attraktive Erlebnisse schmackhaft zu machen – aber eben nicht zu gut. So sind wir genügend motiviert, Dinge nochmal erleben zu wollen. Es ist gut, dass man sich erinnert, dass etwas schmerzhaft und unangenehm war, aber eben nicht erinnert, wie schlimm es genau war. Sich zu 100 Prozent an eine Schmerzsituation zu erinnern, die Schmerzen also immer wieder in gleicher Intensität zu durchleben – das möchte niemand. Auch wenn uns das oft anders vorkommt: Vergessen hat viele Vorteile.“
Übrigens: Die eigene Einstellung zum Vergessen hat auf lange Sicht Einfluss auf die Gedächtnisleistung und Merkfähigkeit, denn wer sich etwa vor dem Altsein fürchtet und damit Stillstand, nachlassende Fähigkeiten oder Langeweile verbindet, der hat mit zunehmendem Alter tatsächlich oft mehr Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren oder sich Neues zu merken. Deshalb lohnt es sich, negative Vorstellungen vom Älterwerden zu überdenken und allmählich zu verändern, wobei es mit den geeigneten Methoden möglich ist, solche scheinbar automatischen Zuschreibungen nach und nach zu verändern, und die negativen Gedanken zum Älterwerden und Vergessen durch positivere Bilder zu ersetzen. Schließlich ist es normal, dass das Gedächtnis im Alter nachlässt, doch es ist entscheidend, wie man darüber denkt!
Kurioses: In einer Illustrierten wird Vergesslichkeit nach Sternzeichen typologisiert:
Widder vergessen als Draufgänger meistens wichtige Termine.
Stiere verdrängen als Regelbrecher schlicht und einfach Wichtiges.
Zwillinge denken und reden schneller, als sie zuhören, sodass sie schnell die Fakten vergessen, die andere ihnen erzählen.
Krebse haben mit ihren eigenen Emotionen zu kämpfen, sodass sie schnell vergessen, dass auch andere Gefühle haben.
Löwen verschlafen es, ihre eigenen Fehler einzusehen, und kommen gar nicht auf den Gedanken, einen Fehler gemacht zu haben.
Jungfrauen versäumen es häufig, auf Einladungen zu antworten.
Waagen verlegen im Alltag sie wirklich alles, etwa Schlüssel, Handy und Portemonnaie.
Skorpione vergessen nichts, erst recht nicht die Missetaten der anderen.
Schützen sind gut darin, Dinge hinter sich zu lassen und löschen sie aus ihrem Gedächtnis.
Steinböcke vergessen, sich auch mal selbst etwas Gutes zu tun.
Wassermänner sind zukunftsorientiert und verschlafen manchmal das Hier und Jetzt.
Fische vergessen alles, was materiell ist, an den ungünstigsten Orten .
Nach einer anderen Illustrierten gibt es vier für das Vergessen prädestinierte Sternzeichen:
Wassermann – auf Irrwegen unterwegs
Der Wassermann ist der große Individualist unter den Sternzeichen. Ihm ist es wichtig, sein Leben abseits der Normen zu führen und alle Aufgaben so zu lösen, wie es noch niemals jemand vorher gemacht hat.
Das Problem: Da der Wassermann sich ungern an bereits etablierte Strukturen hält, betritt er bei jeder Aufgabe absolutes Neuland. Während andere einfach bereits vorgegebene Arbeitsschritte abhaken können, muss der Wassermann sie erstmal neu erfinden. Dass dabei gerne der eine oder andere Punkt übersehen wird, liegt auf der Hand. Für andere wirkt der Wassermann deshalb oft vergesslich. Dabei sucht er doch nur nach ganz neuen Lösungswegen.
Fische – in anderen Sphären
Die träumerischen Fische haben mit der grauen Realität wenig am Hut. Und so kommt es, dass sie immer wieder Dinge vergessen. Wenn Fische beispielsweise einen Roman aufschlagen, sind sie sofort von der Handlung gefangen und so von der Fantasiewelt gebannt, dass sie das Buch oft erst dann wieder zuschlagen, wenn die Geschichte beendet ist.
Dass sie in dieser Zeit den einen oder anderen Termin verpasst haben, nehmen Vertreter dieses Sternzeichens billigend in Kauf. Denn ihnen sind die Abenteuer, die sie in ihrer Traumwelt erleben können, viel wichtiger als scheinbar belanglose Meetings mit Kollegen.
Widder – über das Ziel hinaus
Die Dinge mit Muse (sic!) anzugehen, ist so gar nicht Sache des Widders. Dieses Sternzeichen stürmt in der Regel mit Feuereifer Richtung Ziel und kann es gar nicht abwarten, ihm gestellte Aufgaben zu erledigen. Der Nachteil: Durch sein Ungestüm übersieht dieses Sternzeichen gerne das eine oder andere wichtige Detail. Und so kann es vorkommen, dass der Widder der festen Überzeugung ist, eine Arbeit mit Bravour erledigt zu haben. In Wirklichkeit hat er aber die Hälfte der Dinge vergessen.
Zwillinge – zu viele Dinge auf einmal
Zwillinge sind die Tausendsassas unter den Sternzeichen und oft auf unterschiedlichen Feldern als Freiberufler unterwegs. Zudem pflegen sie zahlreiche Hobbys. Dieses Sternzeichen ist mit so vielen Themen beschäftigt, dass es niemals die Möglichkeit hat, bei einzelnen Aufgabenfeldern in die Tiefe zu gehen. Der Zwilling schafft es höchstens, sich einen oberflächlichen Gesamteindruck zu verschaffen. Und so ist es kein Wunder, dass er beim Erledigen seiner Aufgaben oft wichtige Dinge vergisst.
Das habe ich getan, sagt mein Gedächtnis.
Das kann ich nicht getan haben, sagt mein Stolz.
Endlich gibt das Gedächtnis nach.
Friedrich Nietzsche
Indem das digitale Gedächtnis Internet alles gleich nah und fern hält und Vergangenes und Vergessenes per Mausklick blitzschnell wieder an die Oberfläche katapultiert, verschwindet die traditionelle Ablagefunktion der Vergangenheit. Die Gegenwart wird mit Vergangenheit überschwemmt. Nietzsche hielt Vergessen für eine Gabe und mit einem Internet, das nicht vergisst, hätte er wenig anfangen können. Ebenso wenig mit Marcel Proust, der die Form der Erinnerung und Wiedergewinnung der verlorenen Zeit durch den bloßen Umstand, dass jemand ein Stück Gebäck in den Tee tunkt, beschwört.
Man hat übrigens herausgefunden, dass sich KonsumentInnen an Zahlungen mit Kredit- oder EC-Karten deutlich schlechter erinnern als an Zahlungen mit Bargeld, wobei sich eine genaue Erinnerung an vergangene Ausgaben auf zukünftige Ausgaben Einfluss hat. Auch bei StudentInnen in einer Cafeteria zeigte sich, dass sich jene, die ihre Konsumation mit einer Karte bezahlten, weniger genau an den Rechnungsbetrag erinnern konnten, als jene, die ihre Rechnung bar beglichen.
Oehrn et al. (2018) haben analysiert, was im Gehirn passiert, wenn Menschen freiwillig etwas vergessen wollen. Sie fanden zwei Bereiche des Gehirns, den präfrontalen Cortex und den Hippocampus, deren Aktivitätsmuster für den Prozess des Vergessens charakteristisch sind. Sie maßen die Hirnaktivität bei Epilepsiepatienten, denen zum Zwecke der chirurgischen Planung Elektroden in das Gehirn implantiert worden waren. Man erfasste dabei die Gehirnaktivität von Patienten, denen Elektroden entweder in den präfrontalen Kortex oder in eine tiefere Struktur, den Hippocampus, implantiert wurden, und präsentierte den Probanden eine Reihe von Wörter und baten sie, sich entweder zu erinnern oder sie zu vergessen. Ein Test zeigte, dass sich die Teilnehmer tatsächlich an die Worte erinnerten, die sie weniger gut vergessen sollten als an die Worte, die sie sich erinnern sollten. Während des aktiven Vergessens zeigten Schwingungen in beiden Bereichen des Gehirns charakteristische Veränderungen in bestimmten Frequenzbändern, wobei im präfrontalen Kortex die Schwingungen zwischen drei und fünf Hertz stärker (Theta-Bereich) ausgeprägt waren, und dabei mit höheren Frequenzen zwischen 6 und 18 Hertz im Hippocampus gekoppelt. Die Daten zeigten, dass beim aktiven Vergessen die Aktivität im Hippocampus, einer für das Gedächtnis wichtigen Region, durch den präfrontalen Cortex reguliert wird. Die Aktivität im Hippocampus wird nicht nur unterdrückt, sondern auf eine andere Frequenz umgeschaltet, in der die aktuell verarbeiteten Informationen nicht mehr kodiert werden. Man hofft, dass man mit diesen Erkenntnissen bei posttraumatischen Belastungsstörungen, also für Menschen, die negative emotionale Erinnerungen immer wieder neu erleben, neue Therapien entwickeln könnte.
Siehe dazu die Arbeitsblätter zum Thema Vergessen.
Exkurs: In fast allen Religionen ist die Aufforderung zur Erinnerung wesentlich, denn bei der Erinnerung geht der Blick zurück auf alte Texte, auf aufgeschriebene Geschichten, auf fremde und eigene Erfahrungen, auf Klage- oder Hoffnungslieder, wobei die Erinnerung nichts mehr stützt, als diese aufzuschreiben. Nach dem Theologen Johann Baptist Metz ist die kürzeste Definition von Religion Unterbrechung, denn durch die Rückbesinnung auf das Erinnerte wird die Gegenwart unterbrochen, hinterfragt und eine Chance auf Neuausrichtung in der Zukunft eröffnet. Daher ist Erinnerung nicht nur ein Stehenbleiben, sondern auch ein In-Bewegung-Kommen, der Mensch erfährt sich als Teil einer größeren Geschichte, in der man durch Erinnerung Gast einer anderen Zeit sein kann. Feiertage, Gottesdienste und Kirchen sind daher in hohem Male Einübungsräume von Erinnerungen, denn sie helfen innezuhalten und leiten zur Rückschau an.
Literatur
Atucha, Erika, Vukojevic, Vanja, Fornari, Raquel V., Ronzoni, Giacomo, Demougin, Philippe, Peter, Fabian, Atsak, Piray, Coolen, Marcel W., Papassotiropoulos, Andreas, McGaugh, James L., de Quervain, Dominique J.-F. & Roozendaal, Benno (2017). Noradrenergic activation of the basolateral amygdala maintains hippocampus-dependent accuracy of remote memory. Proceedings of the National Academy of Sciences,114, 9176-9181.
Oehrn, Carina R., Fell, Juergen, Baumann, Conrad, Rosburg, Timm, Ludowig, Eva, Kessler, Henrik, Hanslmayr, Simon & Axmacher, Nikolai (2018). Direct Electrophysiological Evidence for Prefrontal Control of Hippocampal Processing during Voluntary Forgetting. Current Biology, doi:10.1016/j.cub.2018.07.042.
Stangl, W. (2012, 23. September). Lernen und Vergessen von Gelerntem. News zum Thema Lernen.
Vaz, Alex P., Wittig, John H., Inati, Sara K. & Zaghloul, Kareem A. (2020). Replay of cortical spiking sequences during human memory retrieval. Science, 367, 1131-1134.
https://www.abendblatt.de/hamburg/kirche/article212427713/Erinnerungen-brauchen-Ankerplaetze.html (17-11-03)
http://www.n-tv.de/ratgeber/Erinnerungsluecken-bei-Kartenzahlung-article20123830.html (17-11-12)
https://www.forschung-und-lehre.de/zeitfragen/was-beim-erinnern-in-unserem-koerper-passiert-3856/ (21-07-14)
https://www.freundin.de/astrologie-horoskope-das-vergessen-sternzeichen-meistens (22-07-30)
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Vergessen ist eine wichtige Funktion des Gehirns, denn würde das menschliche Gedächtnis jeglichen Input speichern, wäre es heillos überfordert. Die zunehmende Schusseligkeit im Alter hat im Übrigen nicht viel mit einem nachlassenden Erinnerungsvermögen zu tun, sondern ist die Folge erhöhter Ablenkbarkeit.