Zum Inhalt springen

Wie entstehen episodische Erinnerungen?

    Episodische Erinnerungen hängen von der menschlichen Fähigkeit ab, eine breite Palette multisensorischer Informationen zu verarbeiten und diese Informationen in eine kohärente, einprägsame Darstellung zu integrieren. Auf neuronaler Ebene werden diese beiden Prozesse durch neocortikale Alpha/Beta-Desynchronisation (8 bis 20 Hz) bzw. Hippocampus-Theta/Gamma-Synchronisation (40 bis 50 Hz) unterstützt.

    Episodische Erinnerungen zeigen Menschen daher deren persönlich erlebte Vergangenheit, wobei man bisher vermutet hat, dass die Bildung und das Abrufen dieser Erinnerungen durch eine Arbeitsteilung zwischen dem Neocortex und dem Hippocampus unterstützt wird, wobei der erste ereignisbezogene Informationen verarbeitet und der zweite diese Informationen miteinander verbindet. Dabei wurde bisher davon ausgegangen, dass sich diese beiden Prozesse koppeln, um erfolgreich episodische Erinnerungen zu erzeugen und auch wieder abzurufen. Griffiths et al. (2019) haben nun am Menschen gezeigt, dass dieser Informationsfluss in den Hippocampus und aus dem Hippocampus durch elektrische Oszillationen verfolgt werden kann, also phasenhafte Schwingungen, die Neuronen während der Verarbeitung von Prozessen generieren. Demnach beruhen Gedächtnisbildung und -abruf wesentlich auf Synchronisationsprozessen im Hippocampus und Desynchronisationsprozesse im Cortex, wobei das Verständnis dieser Interaktionen zwischen den verschiedenen Zentren beim Aufbau von Erinnerungen eine Basis dafür bildet, etwa Gedächtnisstörungen besser behandeln zu können.

    Die Forscher fanden nun, dass sich dieser Prozess während des Gedächtnisabrufs umkehrt, wobei ein bidirektionaler Informationsfluss zwischen dem Neocortex und dem Hippocampus von grundlegender Bedeutung für die Bildung und den Abruf episodischer Erinnerungen ist. Die ForscherInnen vermuten nun, dass diese Kopplung den Informationsfluss vom Neocortex zum Hippocampus während der Gedächtnisbildung widerspiegelt, und die Vervollständigung des Hippocampus-Musters, die eine Wiederherstellung der Informationen im Neocortex während des Speicherabrufs bewirkt.

    Hinzu kommt, dass gedächtnisbasierte Ansätze nahelegen, dass retrospektive Urteile über den Ablauf der Lebenszeit auf verfügbaren bedeutsamen Erfahrungen beruhen, und auch offen ist, ob die Urteile über das Vergehen von Lebenszeit die objektive Menge an wichtigen Erfahrungen widerspiegeln oder eher die Menge an Erinnerungen, die im Moment des Urteils aktiviert sind. Um diese Frage zu untersuchen, baten Kosak, Kuhbandner & Hilbert (2019) an die fünfhundert Teilnehmer einer Studie, das Vergehen der letzten fünf Jahre entweder vor oder nach dem Abrufen möglichst vieler wichtiger autobiographischer Ereignisse aus den letzten fünf Jahren zu beurteilen. Die Aktivierung von Erinnerungen vor der Beurteilung verlangsamte den erlebten Zeitablauf, aber nur, wenn die Teilnehmer mindestens vier Erinnerungen abrufen konnten. Bei Teilnehmern, die sich an weniger als vier Erinnerungen erinnerten, wurde der gegenteilige Effekt gefunden, d. h., nur wenige aktivierte Erinnerungen hatten überhaupt einen beschleunigenden Effekt. Interessanterweise nahm die erlebte Geschwindigkeit der Zeit mit steigender Anzahl aktivierter Erinnerungen nicht kontinuierlich ab, denn unterhalb und oberhalb der Schwelle von vier Erinnerungen waren Zeitverlaufsurteile unabhängig von der Anzahl der aktivierten Erinnerungen. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass Zeitverlaufsurteile auf aktuell aktivierten Erinnerungen beruhen, was darauf hindeutet, dass das weit verbreitete Phänomen des Verfliegens der Zeit den Effekt einer Erinnerungsheuristik widerspiegelt.



    Literatur

    Griffiths, Benjamin J., Parish, George, Roux, Frederic, Michelmann, Sebastian, van der Plas, Mircea, Kolibius, Luca D., Chelvarajah, Ramesh, Rollings, David T., Sawlani, Vijay, Hamer, Hajo, Gollwitzer, Stephanie, Kreiselmeyer, Gernot, Staresina, Bernhard, Wimber, Maria & Hanslmayr, Simon (2019). Directional coupling of slow and fast hippocampal gamma with neocortical alpha/beta oscillations in human episodic memory. Proceedings of the National Academy of Sciences, 116, doi:10.1073/pnas.1914180116.
    Kosak, F., Kuhbandner, C. & Hilbert, S. (2019). Time passes too fast? Then recall the past! Evidence for a reminiscence heuristic in passage of time judgments. Acta Psychologica, doi:10.1016/j.actpsy.2019.01.003.


    Impressum ::: Datenschutzerklärung ::: Nachricht ::: © Werner Stangl ::: Pädagogische Neuigkeiten für Psychologen :::