Kurz gesagt: Medizinisch bedeutet Demenz eine fortschreitende Erkrankung des Gehirns, bei der Gedächtnis, räumliches Orientierungsvermögen und das Sprachvermögen zunehmend beeinflusst werden, wobei die wörtliche Übersetzung aus dem Lateinischen „ohne Verstand sein“ lautet, d. h., der oder die Betroffene verliert die Kontrolle über das Denken und damit über sich selbst. Übrigens nimmt die Häufigkeit von Demenzerkrankungen mit dem Lebensalter zu, denn sind in der Altersgruppe von 70 bis 74 Jahren noch unter vier Prozent betroffen, so sind es bei den 80- bis 84-Jährigen bereits mehr als 15 Prozent, bei den über 90-Jährigen mit 41 Prozent sogar rund zwei Fünftel. In Einzelfällen können aber auch unter 65-Jährige an einer Demenz erkranken.
Demenz ist dabei der Oberbegriff für rund fünfzig Krankheitsbilder, die mit dem Verlust geistiger Funktionen wie Denken, Erinnern oder Orientierung einhergehen. Neunzig Prozent aller Demenzformen haben eine hirnorganische Ursache (primäre Demenz), in zehn Prozent aller Demenzfälle sind z.B. Stoffwechselkrankheiten, Vergiftungen, hormonelle Störungen, Infektionskrankheiten oder der Missbrauch von Suchtmitteln die Ursache (sekundäre Demenz). Die primären Demenzformen lassen sich wiederum unterteilen in degenerative Demenz wie Alzheimer oder frontotemporale Demenz, vaskuläre Demenz, die mit Gefäßveränderungen und Durchblutungsstörungen einhergeht sowie Mischformen dieser beiden.
Bei Demenz handelt es sich um eine typische Alterserkrankung, die bei den meisten Betroffenen erst nach dem 70. Lebensjahr auftritt, und zu einem fortschreitenden Verlust des Gedächtnisses und zunehmenden Einschränkungen des Denkvermögens führt. Bei besonders schwerem Krankheitsverlauf tritt allmählich völlige Orientierungslosigkeit ein, sodass Erkrankte ständig auf fremde Hilfe angewiesen sind. Am häufigsten tritt Demenz in Form der Alzheimer Krankheit auf, die nach neuestem Forschungsstand durch die Ablagerung von Eiweiß im Gehirn entsteht und eine krankhafte Veränderung von Proteinen in den Nervenzellen bewirkt. Nach Morbus Alzheimer ist die vaskuläre Demenz die zweithäufigste Demenzerkrankung, die durch Störungen der Durchblutung des Gehirns verursacht wird. Frauen erkranken übrigens häufiger an Alzheimer als Männer, wobei dafür auch die höhere Lebenserwartung ausschlaggebens sein kann, da das Risiko einer Alzheimer-Erkrankung mit zunehmendem Alter steigt. Eine andere Ursache vermutet man im Östrogenschwund nach der Menopause, wobei zwar auch Männer in geringen Mengen Östrogen produzieren, doch bleibt die Menge im Alter gleich, während bei Frauen die Menge im Alter oft stark abnimmt. Bekanntlich bringen Östrogene Nervenzellen zum Wachsen und festigen die Verbindungen zwischen Neuronen. Möglicherweise steht auch die Erkrankung an Depressionen mit dem Östrogenschwund in Verbindung, denn Frauen leiden doppelt so häufig an Depressionen wie Männer, wobei auch Depressionen ihrerseits das Risiko für Demenz erhöhen.
Ein hohes Lebensalter stellt den wichtigsten Risikofaktor für eine Demenzerkrankung dar, denn während nur rund zwei Prozent aller 60 bis 70jährigen an Demenz leiden, ist es bei den 90 bis 95jährigen ein Drittel. Aber auch Faktoren wie eine genetische Veranlagung, der Lebensstil, bestimmte Medikamente, Verletzungen im Kopfbereich sowie Entzündungen erhöhen die Wahrscheinlichkeit, an Demenz zu erkranken.
Bei Menschen mit einer sich entwickelnden Demenz geht oft ein Verlust der Orientierung einher, und zwar nicht nur zeitlich, sondern auch räumlich, d. h., sie verlieren die innere Landkarte, können Adressen nicht mehr zuordnen, die ihnen ein Leben lang vertraut sind. Man vermutet die Ursache in den rhythmischen Fluktuationen in der Hirnaktivität, den Theta-Oszillationen, denn diese Hirnwellen könnten dafür verantwortlich sein, sich jenen Ort zu merken, zu dem man navigieren möchte. Frühere Studien hatten bereits gezeigt, dass die Oszillationen in der neuronalen Aktivität beim Navigieren ein charakteristisches Muster aufweisen. Diese Theta-Oszillationen, bei denen sich die Hirnaktivität mit einer Frequenz von ungefähr vier Hertz ändert, scheinen eine zentrale Rolle zu spielen. Bei einem Versuch mit Epilepsiepatienten (Kunz et al., 2019) mussten diese bestimmte Objekte in einer virtuellen Umgebung mit bestimmten Orten assoziieren. Für jede dieser erlernten Assoziationen identifizierten die Wissenschafter das charakteristische Hirnaktivitätsmuster, wobei sich die Probanden und Probandinnen später erinnern mussten, welches Objekt mit welchem Ort assoziiert gewesen ist. Während sie im Gedächtnis nach dem passenden Ort suchten und in der virtuellen Umgebung zu diesem Ort navigierten, reaktivierte das Gehirn die ortscharakteristischen Aktivitätsmuster. Diese Reaktivierung der Hirnaktivität erfolgte für verschiedene Objekt-Ort-Paare zu verschiedenen Zeitpunkten im Verlauf der Theta-Oszillationen. Die Theta-Oszillationen könnten also die Reaktivierung verschiedener Erinnerungen koordinieren und außerdem helfen, konkurrierende Erinnerungen auseinanderzuhalten.
2018 wurde von britischen Wissenschaftlern eine neue und schnellere Methode entdeckt, die ein Demenzrisiko erkennt, noch bevor Symptome auftreten. Dazu reicht es, den Blutfluss in der Halsschlagader per Sonografie fünf Minuten lang zu beobachten, wobei man im Rahmen der Whitehall Studies die Wave Intensity untersuchte, also die Geschwindigkeit des Blutflusses und die Steifigkeit der Gefäßwände. Je intensiver der Pulsschlag, desto eher entwickelten die Studienteilnehmer im darauffolgenden Jahrzehnt kognitive Probleme, denn intensivere Pulsschläge können die kleinen Blutgefäße im Gehirn beschädigen und zu Mini-Schlaganfällen führen, die nicht bemerkt werden, aber folgenreich sein können. Zwar entwickeln nicht alle Menschen mit diesen Symptomen später Demenz, diese gelten aber oft als erste Vorzeichen, denn Demenz ist in vielen Fällen auch das Ergebnis von jahrzehntelanger Schädigung des Gehirns.
Weitere Demenzformen sind Lewy-Körperchen-Demenz sowie der Morbus Pick.
Der Verlauf einer Demenzerkrankung ist durch verschiedene Stadien gekennzeichnet: Während des ersten Stadiums verlieren die Betroffenen die Fähigkeit, neue Informationen zu erfassen und komplizierte Alltagsaufgaben zu bewältigen, finden sich jedoch mit diesen Einschränkungen in ihrer vertrauten Umgebung noch alleine zurecht. Im zweiten Stadium kommt es zu massiven Problemen bei täglichen Verrichtungen, wie zum Beispiel beim Waschen und Anziehen, bekannte Personen werden nicht mehr erkannt, Wahnvorstellungen treten auf. Im letzten Stadium einer Demenz verlieren die Betroffenen ihre Sprachfähigkeit und werden inkontinent sowie bettlägerig. Neben einer Verhaltenstherapie, die Erkrankten die Orientierung im Alltagsleben erleichter soll, wird Demenz meist medikamentös behandelt, wobei owohl Acetylcholinesterase Hemmer als auch NMDA Antagonisten zum Einsatz kommen.
Die meisten Betroffene sind still, in sich gekehrt und angepasst, manche aber auch aggressiv, laut und immer unterwegs, wobei gerade diese Hinlauf-Tendenz Angehörige und auch Pflegepersonal vor große Herausforderungen stellt. Deshalb werden Demenzkranke häufig mit Neuroleptika und Benzodiazepinen ruhiggestellt, um die Situation zu entschärfen und die Belastungen für Angehörige zu minimieren. Diese Medikamente dämpfen aber die Betroffenen, wobei heute etwa ein Drittel aller Menschen mit Alzheimer-Demenz Neuroleptika bekommen, etwa zehn Prozent bekommen zusätzlich Schlafmittel und Beruhigungsmittel, wobei es im stationären Bereich sogar an die fünfzig Prozent sein können, die Neuroleptika bekommen, um einen geordneten Ablauf zu gewährleisten. Das deutet allerdings darauf hin, dass es hier um die Ruhigstellung geht, aber nicht um eine Therapie. Seit einiger Zeit weiß man, dass solche Arzneimittel bei Menschen mit Alzheimer-Demenz mehr schaden als nutzen können, denn die längere Einnahme führt dazu, dass Demenzpatienten daurch ein erhöhtes Risiko haben, früher zu sterben als gleichaltrige Menschen, die keine Demenz haben. Neuroleptika erzeugen Dyskinesien – parkinsonartiger Syndrome wie z. B. Zitterbewegungen und Unruhe. Die immer noch weit verbreitete Verordnung dieser Mittel bei dementen Menschen ist daher langfristig keine akzeptable Strategie, sodass es sinnvoller ist, auf Präventionsstrategien zu setzen, also in Bewegung, Ernährung und ein gutes soziales Umfeld, denn zu den Risikofaktoren für Demenz zählen Bewegungsmangel, jahrelange Schlafstörungen, wiederholte Kopfverletzungen, auch solche leichter Art, Rauchen, hoher Blutdruck, Übergewicht und Diabetes. Durch einen gesunden, aktiven Lebensstil kann man daher das Demenzrisiko verringern, ebenso durch frühzeitiges Gedächtnistraining, durch das zumindest das Fortschreiten der Demenz damit verlangsamt werden kann.
Das kognitive Training bei Demenzerkrankungen besteht aus Gedächtnis- und Wahrnehmungsaufgaben, das körperliche Training hat zum Ziel, die körperliche Fitness zu erhalten, insbesondere richtet man das Augenmerk auf die Erhaltung der Beweglichkeit, da Menschen mit Demenz häufig besonders sturzgefährdet sind. Ein wichtiger Aspekt solcher Trainings ist der Fokus auf das emotionale Gedächtnis, denn das bleibt bei Menschen mit Demenz stets erhalten. Menschen erinnern sich in allen Stadien an wichtige und essenzielle Erlebnisse und Eindrücke, sodass man im Umgang mit ihnen nicht davon ausgehen kann, dass sie nichts mehr davon wissen. Auch wenn ein bestimmter Name nicht mehr abgerufen werden kann, wird eine wichtige Person als vertraute Person erkannt und geschätzt. Nach Ansicht von Experten besteht das Leiden eines Menschen mit Demenz vor allem darin, dass sie von ihrer Umgebung nicht mehr wertgeschätzt werden.
Übrigens: Es ist ein Mythos, dass Gedächtnistraining gegen die Alzheimer-Demenz hilft. Gedächtnistraining ist nur für geistig gesunde Menschen zu empfehlen, denn Menschen mit Alzheimer profitieren nicht davon. Sie können lediglich noch vorhandenes Wissen und vorhandene Fähigkeiten bewahren und das auch nur eine Zeit lang, sodass Experten davor warnen, sie zu überfordern und mit ihren Defiziten zu konfrontieren. Besser ist es, die Erinnerung sanft zu stimulieren, etwa mit alten Fotos oder Liedern von früher, denn oft erinnern sich Menschen mit Demenz sehr gut an Kindheitserlebnisse, während das Kurzzeitgedächtnis und die Merkfähigkeit stark nachlassen. Allerdings ist Alzheimer auch kein Schicksal, denn zahlreiche Studien haben gezeigt, dass ein gesunder Lebensstil mit einer ausgewogenen, vitaminreichen Ernährung, geistiger Aktivität und regelmäßigem Sport dazu beitragen kann, das Alzheimer-Risiko erheblich zu minimieren. Mit Alzheimer-Medikamenten kann der Krankheitsverlauf verlangsamt werden und auch Begleiterscheinungen wie Depressionen oder Aggressionen lassen sich medikamentös behandeln, wobei nicht-medikamentöse Therapien wie die geistige, körperliche und emotionale Mobilisierung die Selbstständigkeit der Patientinnen und Patienten länger erhalten und das Wohlbefinden fördern können.
Wie man am besten mit einem dementen Menschen spricht
Alice Kühn, Krankenschwester und Dozentin für Betreuungsassistenz bei den Johannitern in Singen, gibt Tipps zur Kommunikation mit Menschen mit Demenz: „Holen Sie Ihr Gegenüber dort ab, wo es steht. Sprechen Sie auf Augenhöhe mit dem Anderen. Sprechen Sie nachvollziehbar. Vollenden Sie einen Satz – und warten Sie dann ab. Auch ist es nicht wichtig, dabei besonders laut zu sprechen, denn nicht jeder demente Mensch ist schwerhörig. Viel wichtiger ist es, die Stimme zu senken, langsam und deutlich zu sprechen, den Satz eventuell zu wiederholen. Wenn kein Demenzgarten in der Nähe ist, kann man sich die Natur ins Haus holen, etwa einen Blumenstrauß. Die Blumen können dann auch gut ins Gespräch einbezogen werden. Es ist schwer für Betroffene, sich eine Tulpe vorzustellen, wenn diese gar nicht da ist. Hier wird abstraktes Denken verlangt, was durch die Erkrankung immer mehr verloren geht. Deshalb ist es einfacher, auch im Alltag, zum Verständnis öfter auf Gegenstände zu zeigen, als sie zu beschreiben. Wenn eine Tulpe auf dem Tisch steht, weiß der Betroffene, was gemeint ist. Wenn man mit der oder dem Betroffenen nicht verwandt oder befreundet ist, auf keinen Fall duzen. Das hat mit Würde zu tun und Duzen nimmt diese Würde. Alte Menschen haben ein ganzes Leben hinter sich. Man kann als professionell Pflegende höchstens einmal ganz kurz seine Rolle verlassen und das Gegenüber unter vier Augen einmalig als „Gretel“ ansprechen, doch dann muss man aber sofort wieder zurück zu „Frau Schmitt“, denn sonst ist die Gefahr zu groß, eine Grenze dauerhaft zu überschreiten und sein Gegenüber wie ein Kind zu behandeln.“
Siehe dazu Demenz.
Literatur
Kunz, Lukas, Wang, Liang, Lachner-Piza, Daniel, Zhang, Hui, Brandt, Armin, Dümpelmann, Matthias, Reinacher, Peter C., Coenen, Volker A., Chen, Dong, Wang, Wen-Xu, Zhou, Wenjing, Liang, Shuli, Grewe, Philip, Bien, Christian G., Bierbrauer, Anne, Navarro Schröder, Tobias, Schulze-Bonhage, Andreas, Axmacher, Nikolai (2019). Hippocampal theta phases organize the reactivation of large-scale electrophysiological representations during goal-directed navigation. Science Advances, doi:10.1126/sciadv.aav8192.
Stangl, W. (2012). Stichwort: ‚Demenz‘. Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik.
WWW: https://lexikon.stangl.eu/1082/demenz/ (2012-11-13)
Stangl, W. (2018). Stichwort: ‚Morbus Alzheimer‘. Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik.
WWW: https://lexikon.stangl.eu/16416/morbus-alzheimer/ (2018-09-23)
https://science.orf.at/stories/2946926 (18-11-12)
https://www.suedkurier.de/region/kreis-konstanz/singen/ein-garten-soll-das-erinnern-ankurbeln-ein-blick-in-besonderes-gruen-fuer-demenzkranke;art372458,10595338 (20-08-24)
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