Zum Schutz von Kindern und Jugendlichen – Verordnung von Stimulantien nur in bestimmten Ausnahmefällen: Ritalin & Co nur noch 2. Wahl
Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) als das höchste Gremium der gemeinsamen Selbstverwaltung im Gesundheitswesen Deutschlands hat am 16. September 2010 die Verordnungsfähigkeit bestimmter Stimulantien aufgrund des Risikos, das vor allem für Kinder und Jugendliche mit der Einnahme dieser Medikamente verbunden ist, künftig noch weiter eingeschränkt, als das bisher der Fall war. Dies betrifft das starke Psychopharmakon Methylphenidat (Ritalin, Medikinet etc.), das bei der Diagnose ADHS (Aufmerksam-keitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung) sehr häufig bei Kindern verordnet wird. Nutzen und Risiken dieser Medikamente müssen nun viel sorgfältiger abgewogen werden. Zu den häufigsten Nebenwirkungen zählen Schlafstörungen, Appetitlosigkeit, Weinerlichkeit und langfristig ein geringeres Körperwachstum. Stimulantien wie Methylphenidat sind grundsätzlich nicht verordnungsfähig und nur ausnahmsweise im Rahmen eines ganz eng begrenzten Indikationskatalogs zugelassen. Der Befund AD(H)S muss im diagnostischen Prozess künftig noch umfassender als bisher geprüft werden, und die Verordnung dieser Medikamente darf nur noch von Spezialisten für Verhaltensstörungen bei Kindern und Jugendlichen erfolgen. Zudem muss die medikamentöse Behandlung regelmäßig unterbrochen werden, um ihre Auswirkungen auf das Befinden des Kindes beurteilen zu können.
Die Bundespsychotherapeutenlammer (BPtk) hebt hervor:
Die geänderte Arzneimittel-Richtlinie schreibt jetzt vor, dass
- eine Behandlung von ADHS ohne Medikamente beginnen muss,
- Methylphenidat erst dann eingesetzt werden darf, wenn die nicht-medikamentöse Behandlung nicht erfolgreich ist,
- Methylphenidat auch dann nur innerhalb einer therapeutischen multimodalen Gesamtstrategie eingesetzt werden darf, die neben pharmakologischen Maßnahmen insbesondere auch psychologische, pädagogische und soziale Therapiekonzepte nutzt,
- die Behandlung unter Aufsicht eines Spezialisten für Verhaltensstörungen bei Kindern durchgeführt werden muss,
- der medikamentöse Einsatz besonders zu dokumentieren ist, insbesondere bei einer Dauertherapie über zwölf Monate,
- mindestens einmal jährlich die medikamentöse Behandlung unterbrochen und neu beurteilt werden muss,
- die ADHS-Diagnose auf Kriterien der DSM-IV oder der ICD-10-Klassifikation beruhen muss.
KONFERENZ ADHS hat sich von Anfang an die Verbesserung der Therapie von mit ADHS diagnostizierten Kindern zum Ziel genommen und sieht sich durch die neue Richtlinie des G-BA in seinen Bemühungen bestätigt. Psychopharmaka müssen immer nur nachrangig, Psychotherapie und Psychoedukation immer erstrangig sein. Leider sah die Praxis bisher viel zu oft genau umgekehrt aus.
Umso mehr begrüßen wir deshalb die nun verbindliche Festlegung einer immer erstrangigen Psychotherapie bzw. Psychoedukation vor einer eventuellen medikamentösen (Mit-) Behandlung.
Ritalin & Co sind nur noch zweite Wahl.
Verantwortlich für die Pressemitteilung:
Dipl.-Psych. Hans Reinhard Schmidt
Sprecher KONFERENZ ADHS
konferenz-adhs@online.de
http://www.adhs-konferenz.de
Eine Analyse aller verfügbaren kontrollierten Studien durch die Cochrane Collaboration, ein weltweites Netz von Fachleuten, die mit systematischen Übersichtsarbeiten die Wirksamkeit von medizinischen Therapien bewerten, zeigte, dass die Studienlage bei der Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Methylphenidat dünn und wenig aussagekräftig ist. Man analysierten 185 Studien mit insgesamt über 12000 Kindern und Jugendlichen, die ein diagnostiziertes ADHS hatten, und fand nur eine moderate Verbesserung typischer ADHS-Symptome, des allgemeinen Verhaltens sowie der Lebensqualität durch Methylphenidat, bestätigte aber Schlafprobleme und Appetitverlust als Nebenwirkungen. Die Studien waren fast 40 Prozent industriefinanziert, sodass nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Probanden wussten, ob sie den Wirkstoff, ein Placebo beziehungsweise keine Behandlung erhielten.
Siehe dazu Ritalin und ADHS aus psychologischer Sicht
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Amrei Wittwer, eine Expertin für ADHS- und Schmerzforschung, ist der Meinung, dass bei ADHS keine medizinische Behandlung helfen kann und alternative Therapieansätze notwendig sind. Viele Kindheitsforscher wehren sich heute gegen die Pathologisierung des Kindes, wobei die auf Leistung und Erfolg ausgerichtete Erziehungs- und Bildungspraxis große Stressoren im Leben der Kinder darstellen. Kinder, die nicht den Erwartungen der Erwachsenen entsprechen und häufig stören, werden zu schnell medizinisch behandelt, d. h., sie bekommen eine medizinische Diagnose und früher oder später ein Rezept für Methylphenidat oder Amphetamin. Die verschriebenen Psychopharmaka heilen nicht, verbessern die schulischen Leistungen nicht, wirken negativ auf die Entwicklung von Kindern, besitzen ein hohes Suchtpotenzial und haben vor allem Nebenwirkungen, d. h., sie werden gegen eine Krankheit eingesetzt, die eigentlich gar keine ist. Krankheit erfordert Leid und funktionale Einschränkung, die bei der aktuellen ADHS-Diagnose jedoch nicht erfasst werden, denn die diagnostizierten Kinder weisen in der Regel keine organische oder funktionale Störung auf, sondern vielmehr alltägliche Eigenschaften wie Unreife oder unerwünschtes Verhalten.