Neophobie bezeichnet in der Psychologie die ausgeprägte und anhaltende Furcht oder Abneigung gegenüber Neuem, Unbekanntem oder Veränderung. Der Begriff wird sowohl in der Entwicklungspsychologie als auch in der Persönlichkeits- und Klinischen Psychologie verwendet und beschreibt ein Verhalten, bei dem Individuen neue Reize, Situationen, Objekte oder soziale Kontexte vermeiden, weil sie diese als potenziell bedrohlich oder überfordernd einschätzen. Neophobie tritt häufig in Bereichen auf, in denen Unsicherheit strukturell gegeben ist, etwa bei neuen Lebensmitteln, unbekannten sozialen Gruppen oder unerprobten Problemlösungsstrategien. Bei Kindern zeigt sich Neophobie besonders oft im Essverhalten, wenn neue Geschmäcker oder Texturen abgelehnt werden; dies gilt als entwicklungspsychologisch normal und kann sich im Laufe der Zeit verringern. Bei Erwachsenen kann Neophobie mit generalisierter Angst, rigider Persönlichkeitsstruktur oder belastenden Lernerfahrungen in Verbindung stehen. In der Tierpsychologie wird der Begriff ebenfalls verwendet, um zu beschreiben, wie Tiere auf neue Objekte oder Veränderungen in ihrer Umwelt reagieren, was etwa für die Verhaltensforschung und das Stressmonitoring relevant ist. Neophobe Tendenzen sind nicht grundsätzlich maladaptiv, da Vorsicht gegenüber Unbekanntem evolutionsbiologisch Schutzfunktionen erfüllt; problematisch werden sie erst, wenn sie zu einer deutlichen Einschränkung des Alltags, sozialer Teilhabe oder des Lern- und Explorationsverhaltens führen. Beispiele für neophobes Verhalten sind das konsequente Vermeiden neuer Technologien, das starke Unbehagen gegenüber unbekannten Reiserouten oder das Festhalten an Routinen, um Angstgefühle zu kontrollieren. In der klinischen Praxis wird Neophobie oft im Rahmen von Angststörungen, Autismus-Spektrum-Störungen oder Zwangsspektrumsstörungen beobachtet, wobei sie je nach individueller Ausprägung unterschiedlich behandelt wird. Interventionen reichen von Exposition in kleinen, kontrollierten Schritten über kognitive Umstrukturierung bis hin zu systematischen Verstärkungsplänen, insbesondere im Kontext der Kinderpsychologie.
Literatur
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