Seit langem stellt man sich die Frage, ob alle Menschen Farben in gleicher Weise wahrnehmen. Während das subjektive Farberleben schwer fassbar bleibt, lässt sich die Verarbeitung von Farben im Gehirn objektiv mithilfe bildgebender Verfahren untersuchen. Eine aktuelle Studie von Bannert & Bartels (2025) hat mittels funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT) neue Erkenntnisse zur neuronalen Kodierung von Farben gewonnen. In Experimenten ließ man 15 Probandinnen und Probanden verschiedene Farbreize wie Rot, Grün und Gelb betrachten, während deren Hirnaktivität aufgezeichnet wurde. Dabei zeigte sich, dass jede Farbe ein spezifisches Aktivitätsmuster in der Sehrinde auslöst. Diese Muster waren nicht nur innerhalb eines einzelnen Gehirns erkennbar, sondern konnten auch auf andere Personen übertragen werden: Ein Klassifikationsalgorithmus, der anhand der Muster einer Gruppe trainiert wurde, konnte in einer zweiten Gruppe zuverlässig bestimmen, welche Farbe die jeweilige Person gerade sah. Damit konnte erstmals gezeigt werden, dass Farbwahrnehmung über verschiedene Gehirne hinweg erstaunlich einheitlich abgebildet wird. Besonders überraschend war die hohe Ähnlichkeit selbst in den feinen Unterschieden zwischen einzelnen Farbtönen.
Man stellte zudem fest, dass die Verarbeitung von Farben eng mit der räumlichen Struktur des visuellen Feldes verknüpft ist. Im visuellen Cortex entstehen sogenannte Field Maps, geordnete Karten des Sehfeldes, die sowohl Position als auch Farbe codieren. Diese raumbezogenen Farbkarten unterscheiden sich zwar zwischen verschiedenen Hirnarealen, weisen jedoch über alle Menschen hinweg ein gleichartiges Grundmuster auf. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass diese Ordnung nicht zufällig ist, sondern auf evolutionär entstandene Organisationsprinzipien zurückgeht.
Ungeachtet dessen bleibt die Frage nach der subjektiven Gleichheit von Farberlebnissen offen. Ob „mein Rot“ tatsächlich identisch mit „deinem Rot“ ist, lässt sich wissenschaftlich nicht eindeutig klären, da das bewusste Erleben einer Farbe auch von individuellen Interpretationen und Kontexten wie Beleuchtung abhängt. Bekannte Phänomene wie das kontrovers diskutierte Kleid-Foto – von manchen als blau-schwarz, von anderen als weiß-gold wahrgenommen – veranschaulichen diese Subjektivität. Dennoch liefern die fMRT-Daten den Hinweis, dass die neuronale Grundlage der Farbwahrnehmung zwischen Menschen vergleichbare Verzerrungen und systematische Muster aufweist. Dies spricht für grundlegende Gemeinsamkeiten in der Organisation des menschlichen Sehsystems, auch wenn das individuelle Erleben stets einzigartig bleibt.
Literatur
Bannert, M. M. & Bartels, A. (2025). Large-scale color biases in the retinotopic functional architecture are region specific and shared across human brains. The Journal of Neuroscience, 45, doi;/10.1523/JNEUROSCI.2717-20.2025
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