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Wie Menschen unvollständige visuelle Informationen vervollständigen

    Eine primäre Funktion des menschlichen Gesichtssinnes ist es, räumliche Informationen über visuelle Szenen zu kodieren und abzurufen, also um Objekte im Raum zu erkennen und sich in der Umgebung zurechtzufinden. Allerdings kann das visuelle System nicht jedes Detail im Umfeld wahrnehmen, sodass es unvollständige sensorische Informationen mit Erfahrungswerten aus der Vergangenheit kombiniert und so Rückschlüsse auf die Umgebung zieht. Langlois et al. (2021) haben über Crowdsourcing-Plattformen ein experimentelles Paradigma entwickelt, das die Struktur menschlicher räumlicher Gedächtnisprioritäten in hoher Detailgetreue offenbart. Der Versuchsaufbau für die Experimente gleicht dem Spiel Stille Post, wobei statt Worten jedoch Bilder verwendet wurden. Die Studienteilnehmer wurden virtuell in Reihen angeordnet und bekamen nacheinander eine einfache Gedächtnisaufgabe gestellt, wobei diese sich einzelne Punkte in Bildern merken und anschließend die genaue Position dieser Punkte wiedergeben sollten. Die Antwort des ersten Teilnehmers wurde dann zum Impuls für den oder die nächste in dieser Reihe, wobei die kumulierten Abweichungen zum Original schließlich das detaillierte Bild eines gemeinsamen räumlichen Gedächtnisses ergaben. In Abkehr von den traditionellen Hypothesen überprüfte man dabei ein Modell, das räumliche Gedächtnisprioritäten als Ausdruck einer optimalen Allokation von Wahrnehmungsressourcen neu interpretiert.

    Sie konnten zeigen, dass Wahrnehmungsvoreingenommenheit mit Variationen in der Unterscheidungsgenauigkeit korreliert, d. h., dass das visuelle System seine Orientierung dadurch erreicht, indem es unvollkommene sensorische Informationen mit einem Glaubenszustand über Orte in einer Szene kombiniert, was zu systematischen Verzerrungen und Verzerrungen führt. Diese Verzerrungen können durch ein Bayes’sches Modell erfasst werden, in dem die internen Überzeugungen in einer priorisierten Wahrscheinlichkeitsverteilung über die Orte in einer Szene ausgedrückt werden. Entgegen früheren Annahmen zeigen die Ergebnisse, dass das Gedächtnis systematisch auf klare räumliche Orientierungspunkte ausgerichtet ist, etwa auf die Eckpunkte eines Objektes und nicht an den Zentren visueller Szenen orientiert, etwa an den Massemittelpunkten von Objekten.

    Siehe auch Warum fallen die Menschen auf den Hütchenspielertrick herein?

    Literatur

    Thomas A. Langlois, Nori Jacoby, Jordan Suchow and Thomas L. Griffiths (2021). Serial Reproduction Reveals the Geometry of Visuospatial Representations. Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) 118(13), e2012938118. doi: 10.1073/pnas.2012938118.
    https://www.aesthetics.mpg.de/institut/news/news-artikel/article/hirnforschung-ein-kinderspiel.html (21-04-14)
    Grafik: https://www.aesthetics.mpg.de/fileadmin/_processed_/7/a/csm_NEWS-210408-Jacoby-PM-PNAS-4z3-News_4c07ba75f3.jpg




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