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Geschwisterbeziehungen: „Mittlere“ Kinder häufig benachteiligt

Matthias Wildermuth untersuchte die Realität und Bedeutung von Geschwisterbeziehungen innerhalb einer mittel- bis langfristigen kinder- und jugendpsychiatrischen stationären Behandlung. Er stellte fest: Geschwister, die zu zweit aufwachsen, unterstützen einander häufig. Kommen weitere Kinder hinzu, wächst das Konfliktpotenzial und sinkt der Zusammenhalt. Relativ oft unterstützen Schwestern ihre Brüder, eine Hilfe in umgekehrter Richtung ist seltener.
Geschwisterbeziehungen bleiben häufig unbeachtet und in der Therapie unbearbeitet, bemängelt der Kinder- und Jugendpsychiater. Ein intensives Umdenken hält er für notwendig. Seine Studie liefert dazu eine große Zahl von Einzelinformationen aus der Klinik, etwa:
Überhäufig werden mittlere Kinder beschuldigt, ältere oder jüngere Geschwister zu unerwünschtem Verhalten motiviert zu haben; mittlere Kinder „werden auch seltener als krank oder als Opfer anerkannt, was ihre emotional geschwächte Position gegenüber den Eltern aufzeigt.“
Kinder unter zwölf Jahren erleben mehr Geschwisterkonflikte als Ältere; denn im Lauf der Jahre nimmt das Interesse an der Familie ab, und die Beziehungen zu Freunden nehmen zu.
„Bei einem Geschwisterabstand über fünf Jahren sinkt die Rivalität, Konkurrenz und unmittelbare negative Beeinflussung erheblich. Ältere werden entweder idealisiert oder entziehen sich selbst schon den Kleineren. Positiv können sie jedoch auch Lehrer und gleichsam elterliche Unterstützer sein …“

Downey & Cao (2023) untersuchen in den USA und in China das Phänomen, dass immer mehr Kinder mit wenigen oder keinen Geschwistern aufwachsen. Frühere Studien hatten gezeigt, dass Kontextmerkmale eine wichtige Rolle bei der Bedeutung von Geschwistern spielen. Sowohl in China als auch in den USA war die Anzahl der Geschwister negativ mit der psychischen Gesundheit verbunden. In China ging es denjenigen am besten, die keine Geschwister hatten, ähnlich wie in den USA, wobei es keine Rolle spielte, ob es sich um Halbgeschwister oder Vollgeschwister handelte, da beide einen negativen Einfluss auf die psychische Gesundheit hatten. Allerdings spielte der Altersunterschied zwischen den Geschwistern eine entscheidende Rolle, denn je geringer der Altersunterschied zwischen den Geschwistern war, desto schlechter ging es ihnen, d.h. Geschwister mit einem größeren Altersunterschied waren besser dran. Erklärt wird dies durch die Ressourcenallokationshypothese, die besagt, dass Geschwister um die Ressourcen der Eltern konkurrieren, wobei die elterlichen Ressourcen begrenzt sind. Je mehr Kinder es in einer Familie gibt, desto weniger Aufmerksamkeit und Zuwendung ist für jedes einzelne Kind verfügbar, wobei Geschwister mit geringem Altersabstand stärker um diese konkurrieren. Dennoch gibt es einige europäische Studien, die den positiven Einfluss von Geschwistern bestätigen: Ein Leipziger Forscherteam um Gunda Herberth fand 2002 heraus, dass Kinder mit älteren Geschwistern seltener Verhaltensprobleme haben. Auch Douglas B. Downey und Rui Cao betonen in ihrer aktuellen Studie der Ohio State University nicht nur den negativen Einfluss von Geschwistern. Geschwister können sich vor allem positiv auf die Entwicklung sozialer Kompetenzen auswirken, was sich auch auf spätere Partnerschaften auswirkt, denn Kinder mit Geschwistern lassen sich seltener scheiden.



Literatur

Downey, Douglas B. & Cao, Rui (2023). Number of Siblings and Mental Health Among Adolescents: Evidence From the U.S. and China. Journal of Family Issues, 44, doi:10.1177/0192513X231220045.
Stangl, W. (2024, 18. März). Die Bedeutung von Geschwistern für die psychische Gesundheit. arbeitsblätter news.
https:// arbeitsblaetter-news.stangl-taller.at/die-bedeutung-von-geschwistern-fuer-die-psychische-gesundheit/


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Ein Gedanke zu „Geschwisterbeziehungen: „Mittlere“ Kinder häufig benachteiligt“

  1. Ich habe zum Autor ein wenig recherchiert und daher habe ich eine Frage zu diesem Buch:

    Mit welchen Methoden „analysiert“ er Geschwisterbeziehungen? Wie beeinflusst seine „psychodynamische Weltsicht“ die Ergebnisse zur Geschwisterbeziehung?
    Oder nähert sich der Autor dem Thema mit allgemein gültigen Analysemethoden?

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