Die kumulative Kultur des Menschen umfasst Verhaltensweisen, die so komplex sind, dass sie von einem einzelnen Individuum im Laufe seines Lebens nicht selbständig entdeckt werden können und daher in irgendeiner Form weitergegeben werden müssen. Es gibt immer mehr Hinweise darauf, dass die Kultur von Tieren ebenso wie die menschliche Kultur kumulativ sein kann, d.h. durch aufeinander aufbauende Innovationen gekennzeichnet ist.
Mit Zuckerwasser als Belohnung können Hummeln dazu gebracht werden, artfremde Dinge zu tun, wie winzige Kügelchen zu rollen oder an einem Faden zu ziehen. Bridges et al. (2024) konnten nun auch zeigen, dass selbst Hummeln von trainierten Modelltieren lernen können, ein neuartiges zweistufiges Puzzlespiel zu öffnen, um eine Futterbelohnung zu erhalten, auch wenn sie dies nicht selbst tun können. Die Versuchshummeln waren zwar nicht in der Lage, den ersten Schritt ohne Belohnung zu lernen, ohne dass eine vorübergehende Belohnung mit dieser Handlung verbunden war, die in späteren Phasen des Trainings entfernt wurde. Ein Drittel der naiven Beobachterhummeln lernte jedoch von diesen Demonstrationshummeln, die zweistufige Box zu öffnen, ohne jemals nach dem ersten Schritt belohnt zu werden.
Dies deutet darauf hin, dass soziales Lernen den Erwerb von Verhaltensweisen ermöglichen könnte, die zu komplex sind, um durch individuelles Lernen neu erlernt zu werden. Außerdem gelang es den naiven Hummeln nicht, den Kasten zu öffnen, obwohl sie ihm bis zu 24 Tage ausgesetzt waren. Bei diesen Ergebnissen muss allerdings berücksichtigt werden, dass eine solche Verhaltensübertragung in der Natur praktisch unmöglich ist, da die Hummeln mit Ausnahme der Königin bereits nach einer Generation sterben. Dennoch zeigt dieses Experiment, dass auch Insekten in der Lage sind, komplexe, nicht angeborene Verhaltensweisen durch Beobachtung zu erlernen, was z.B. bei Primaten und anderen Tieren schon lange bekannt ist.
Anmerkung zu Insektengehirnen: Insekten besitzen in Segmente gegliederte Körper, bei denen jeder Abschnitt zwei Nervenknoten (Ganglien) besitzt, die wie Minihirne das jeweilige Segment steuern. Die Ganglien sind zu einer strickleiterartigen Struktur verknüpft, die in den Kopf führt. Dort sitzt das eigentliche Gehirn, das die Signale der Nervenzellen koordiniert. Insekten haben kein Gehirn wie Säugetiere, sondern in ihrem Strickleiternervensystem übernimmt ein besonderer Nervenknoten, das Oberschlundganglion, wichtige Funktionen, und befindet sich bei den meisten Insekten im Kopf. Deren Strickleiternervensystem besteht aus zwei Längssträngen, die über die ganze Länge des Tieres verlaufen und in jedem Segment je ein Ganglion bilden. Jedes Segment des Körpers enthält dabei zwei Ganglien oder ein aus den beiden zusammengewachsenes Fusionsganglion, das in der Regel zur Steuerung der Organe genau dieses Segments dient. Das zum Gehirn analoge Oberschlundganglion besteht aus drei Teilen: dem Protocerebrum, dem Deutocerebrum und dem Tritocerebrum. Das Protocerebrum ist für die Optik des Insekts zuständig und mit den Augen verbunden, auch finden sich dort wichtige Verschaltungszentren, die komplexe Verhaltensweisen steuern. Durch diese Konzentration an Nervenzellen wird eine höhere Leistungsfähigkeit erreicht, denn so können Bienen und Hummeln Probleme lösen und voneinander lernen. Das Deutocerebrum verarbeitet die Informationen, die das Insekt über seine Fühler aufnimmt und steuert deren Muskulatur. Das Tritocerebrum verbindet das Oberschlundganglion mit anderen wichtigen Körperteilen des Insekts (Stangl, 2024).
Literatur
Bridges, Alice D.,Royka, Amanda,Wilson, Tara,Lockwood, Charlotte,Richter, Jasmin,Juusola & Mikko,Chittka, Lars (2024). Bumblebees socially learn behaviour too complex to innovate alone. Nature, doi:10.1038/s41586-024-07126-4.
Stangl, W. (2024, 7. März). Größe des Gehirns. [werner stangl]s arbeitsblätter.
https://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/GEHIRN/Gehirn-Groesse.shtml
Bild by Erwin Kastner
Impressum ::: Datenschutzerklärung ::: Nachricht ::: © Werner Stangl ::: Pädagogische Neuigkeiten für Psychologen :::