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Das Attributfrequenz-Modell bei der Wahrnehmung sozialer Unterschiede

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    Ein Projekt von Hans Alves (Fakultät für Psychologie der Ruhr-Universität ) widmet sich einer grundlegenden Frage der Sozialpsychologie: Warum weichen unsere Vorstellungen über soziale Gruppen – wie Männer und Frauen, Zugewanderte und Einheimische oder ethnische Minderheiten – oft deutlich von den statistischen Realitäten ab? Und weshalb erscheinen soziale Ungleichheiten in der öffentlichen Diskussion manchmal dramatischer, als es die Daten nahelegen, während sie in anderen Fällen verharmlost werden? Im Zentrum steht ein neues Modell der sozialen Wahrnehmung, das Attributfrequenz-Modell. Es geht davon aus, dass Menschen Gruppen je nach Art der Merkmale, auf die sie ihre Aufmerksamkeit richten, unterschiedlich einschätzen. Dabei spielt vor allem die Häufigkeit dieser Merkmale eine entscheidende Rolle: Konzentrieren wir uns auf seltene Merkmale wie Arbeitslosigkeit, Spitzenpositionen oder schwere Straftaten, wirken Gruppenunterschiede größer und Ungleichheiten extremer. Richten wir den Blick dagegen auf häufige Merkmale – etwa Beschäftigung, durchschnittliche Tätigkeiten oder den weitgehend problemlosen Alltag –, erscheinen dieselben Gruppen oft viel ähnlicher.

    Ein Beispiel macht dies deutlich: Die Arbeitslosenquote unter Zugewanderten ist deutlich höher als unter deutschen Staatsbürgern. Betrachtet man jedoch die Beschäftigungsquoten, wird sichtbar, dass die große Mehrheit beider Gruppen arbeitet – und die Unterschiede weniger gravierend wirken. Diese doppelte Perspektive zeigt, wie dieselbe soziale Realität je nach Fokus stark unterschiedliche Eindrücke erzeugen kann. Das geförderte Projekt untersucht nun diesen Mechanismus über fünf Jahre hinweg mit einem vielfältigen Methodenset. Dazu gehören groß angelegte Online-Experimente mit Tausenden Teilnehmenden, denen reale Statistiken zu Arbeitsmarkt, Bildung, Vermögen oder Kriminalität präsentiert werden – jeweils in unterschiedlichen Darstellungsformen. Ergänzend wertet man auch große amtliche Datensätze aus und analysiert Medienberichte sowie Inhalte aus sozialen Netzwerken. Ziel ist es zu prüfen, ob die öffentliche Kommunikation systematisch seltene Extreme hervorhebt oder eher alltägliche Normalfälle, und wie dies die Wahrnehmung von Ungleichheit beeinflusst. Zudem wird erforscht, ob große Sprachmodelle wie moderne KI-Systeme ähnliche Verzerrungen zeigen wie Menschen.

    Ein zentraler Anspruch des Projekts ist es, praktische Empfehlungen für eine ausgewogenere Darstellung sozialer Unterschiede zu entwickeln. Dazu gehören etwa Informationsformate, die häufige und seltene Merkmale gemeinsam sichtbar machen, oder statistische Kennzahlen, die weniger anfällig für Wahrnehmungsfehler sind. Die Ergebnisse sollen Entscheidungsträgerinnen in Politik, Verwaltung, Medien und Organisationen unterstützen, differenziertere und realistischere Bilder gesellschaftlicher Ungleichheit zu vermitteln. Auf diese Weise will das Projekt dazu beitragen, Stereotype abzubauen, Debatten zu versachlichen und Ressourcen gezielt dort einzusetzen, wo tatsächliche Ungerechtigkeiten am stärksten wirken.

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