Viszerale Schmerzen – also Schmerzen, die aus dem Bauchraum stammen – gelten seit Langem als schwer fassbar, emotional aufgeladen und klinisch herausfordernd. Ihre diffuse, schlecht lokalisierbare Natur macht sie besonders empfänglich für ungünstige Erwartungseinflüsse. Eine aktuelle, experimentell angelegte Forschungsarbeit zeigte nun, dass Schmerzen aus dem Körperinneren eine besondere biologische und psychologische Empfindlichkeit für Nocebo-Effekte besitzen. Damit sind negative Erwartungen gemeint, die das Schmerzempfinden verstärken, ohne dass sich der physiologische Reiz selbst verändert. Die Studie von Aulenkamp et a.l (2025) weist darauf hin, dass sowohl verbal vermittelte negative Erwartungen als auch frühere unangenehme Schmerz- oder Behandlungserfahrungen zu einer deutlichen Verstärkung viszeraler Schmerzunlust führen können. Ein bemerkenswerter Befund besteht darin, dass negative Erfahrungen mit somatischen Schmerzen wie Hitze- oder Rückenschmerzen auf das Schmerzempfinden im Bauchbereich übertragen werden können. Diese Form einer cross-modalen Generalisierung zeigt, wie eng Schmerzsysteme miteinander verknüpft sind und wie stark Erwartungen und Vorerfahrungen sie beeinflussen.
Viele Menschen mit chronischen Darm- und Bauchschmerzen berichten von einer langen Vorgeschichte unklarer Diagnosen, wiederholter medizinischer Untersuchungen und therapeutischer Enttäuschungen, was häufig zu Frustration und Misstrauen führt. Solche negativen Erfahrungen prägen die Erwartungen an zukünftige Behandlungen und können Nocebo-Reaktionen begünstigen, die den Schmerz weiter verstärken. Hinzu kommt der komplexen Charakter der Darm-Gehirn-Achse, einem bidirektionalen Kommunikationsnetz zwischen zentralem Nervensystem und Verdauungstrakt, in dem neuronale Signale, Darmmikrobiom, Hormone und Botenstoffe eng zusammenwirken. Störungen entlang dieser Achse, wie sie beispielsweise beim Reizdarmsyndrom auftreten, können die Aufmerksamkeit für viszerale Reize erhöhen, die Schmerzwahrnehmung verstärken und emotionale Faktoren wie Stress oder Angst verstärkend einbinden. Dadurch entsteht ein hochsensibles System, in dem negative Erwartungen und emotionale Belastungen besonders leicht auf das viszerale Schmerzempfinden durchschlagen.
Aus klinischer Perspektive ergeben sich daraus klare Implikationen: Die Kommunikation im medizinischen Alltag hat bei Patientinnen und Patienten mit viszeralen Schmerzen ein erhebliches Gewicht. Studien zeigen, dass bereits subtile negative Formulierungen die Schmerzwahrnehmung verstärken können, während empathische, klare und positive Kommunikation diese abmildern kann. Die Ergebnisse aus diesen Untersuchungen verdeutlichen, dass Worte und Erwartungen bei viszeralen Schmerzen stärker wirken als bei vielen anderen Schmerzarten, sodass eine behutsame, unterstützende Kommunikation dazu beitragen kann, Nocebo-Effekte zu reduzieren, Belastungen entlang der Darm-Gehirn-Achse zu entschärfen und therapeutische Maßnahmen zu unterstützen. Gerade in Bereichen wie Gastroenterologie, Gynäkologie oder Bauchchirurgie, in denen viszerale Schmerzen häufig vorkommen, ist kommunikative Kompetenz daher ein entscheidender Bestandteil guter medizinischer Praxis.
Literatur
Aulenkamp, J. L., Pawlik, R. J., Guddat, C., Engler, H., Kleine-Borgmann, J., Icenhour, A., & Elsenbruch, S. (2025). Unraveling nocebo effects in visceral pain: Negative suggestion and adverse treatment experience uniquely shape visceral pain unpleasantness. PAIN.
WWW: https://journals.lww.com/pain/fulltext/9900/unraveling_nocebo_effects_in_visceral_pain_.1046.aspx