Eine aktuelle Untersuchung von Ceravolo et al. (2025) zeigte, dass das menschliche Gehirn nicht nur auf menschliche Stimmen spezialisiert ist, sondern auch sensibel auf Lautäußerungen anderer Primaten reagiert, insbesondere auf jene von Schimpansen, der engsten evolutionären Verwandten. Mithilfe funktioneller Magnetresonanztomographie untersuchte man, wie bestimmte Regionen des auditorischen Cortex auf Vokalisationen verschiedener Arten reagieren. Dazu hörten 23 Probanden Lautaufnahmen von Menschen, Schimpansen, Bonobos und Makaken. Während Bonobos genetisch ähnlich nah stehen wie Schimpansen, unterscheiden sich ihre Rufe jedoch deutlich im Klang und ähneln eher Vogelgesängen. Makaken sind sowohl genetisch als auch akustisch weiter von Menschen entfernt.
Die Ergebnisse zeigten, dass der anteriore Bereich des oberen Temporalgyrus, ein Teil der sogenannten Temporal Voice Areas (TVA), der normalerweise an der Verarbeitung von Sprache, Musik und emotional gefärbten Klängen beteiligt ist, besonders stark auf Schimpansenlaute reagierte. Diese Aktivierung war deutlicher als bei Bonobo- oder Makakenrufen und unterschied sich sogar von der Reaktion auf menschliche Stimmen. Obwohl auch Makakenrufe eine gewisse Aktivität auslösten, war die Sensitivität gegenüber Schimpansenvokalisationen am stärksten. Man interpretiert dies als Hinweis darauf, dass das menschliche Gehirn evolutionär ältere Mechanismen der Lautverarbeitung bewahrt hat, die nicht ausschließlich auf menschliche Sprache zugeschnitten sind, sondern auch auf die akustisch und phylogenetisch nahen Lautäußerungen anderer Primaten.
Diese Befunde legen daher nahe, dass die neuronalen Grundlagen der Stimmenerkennung nicht erst mit der Entstehung der Sprache entstanden sind, sondern sich bereits früher in der Evolutionsgeschichte herausgebildet haben. Die besondere Reaktionsweise auf Schimpansen könnte dabei auf eine Kombination aus genetischer Nähe und akustischer Ähnlichkeit zurückzuführen sein, wobei beide Faktoren offenbar gemeinsam zur Aktivierung beitragen. Diese Forschungsergebnisse könnten auch ein besseres Verständnis neue Einsichten in die Entwicklung der Sprachwahrnehmung beim Menschen liefern, etwa, warum Säuglinge schon vor der Geburt Stimmen aus ihrer sozialen Umgebung unterscheiden können. Offenbar existieren im menschlichen Gehirn Areale, die nicht ausschließlich auf die eigene Art spezialisiert sind, sondern grundsätzlich sensibel auf die Vokalisationen eng verwandter Primaten reagieren.
Literatur
Ceravolo, L., Debracque, C., Gruber, T., & Grandjean, D. (2025). Sensitivity of the human temporal voice areas to nonhuman primate vocalizations. eLife, doi:10.7554/eLife.108795.1
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