Neue Gesetze und Vorschriften stoßen häufig auf Widerstand in der Bevölkerung, ob es sich um das Rauchverbot in öffentlichen Räumen, das Tempolimit auf Autobahnen oder die Anschnallpflicht handelt – vielen Menschen fällt es schwer, sich mit der Vorstellung von Einschränkungen in ihrem Alltag abzufinden. Diese anfängliche Ablehnung ist jedoch oft kein Ausdruck dauerhafter Gegnerschaft, sondern lässt sich als psychologische Reaktion auf wahrgenommene persönliche Verluste verstehen – ein Phänomen, das in der Psychologie als Reaktanz bezeichnet wird.
Ein klassisches Beispiel für diesen Mechanismus ist die Einführung des Rauchverbots in Deutschland in den 2000er-Jahren. Anfangs empörten sich viele darüber, dass Rauchen in Kneipen, Restaurants oder sogar am Arbeitsplatz verboten werden sollte. Heute erscheint es fast unvorstellbar, dass es einst normal war, in geschlossenen öffentlichen Räumen zu rauchen. Die Akzeptanz dieser Regel hat sich im Laufe der Zeit deutlich erhöht – nicht zuletzt, weil die gesundheitlichen Vorteile für die Allgemeinheit zunehmend sichtbar wurden. Immerhin kam es zu einem markanten Rückgang jugendlicher Raucherinnen und Rauher, was unter anderem dem Nichtraucherschutz zuzuschreiben ist.
Eine aktuelle Studie von Granulo, Fuchs und Böhm (2025) analysiert anhand europaweiter Umfragedaten sowie experimenteller Studien die psychologischen Prozesse, die zur anfänglichen Ablehnung systemischer Eingriffe führen. Dabei zeigt sich ein konsistentes Muster: Menschen empfinden neue Gesetze zunächst als bedrohlich, weil sie mit individuellen Einschränkungen verbunden sind – sei es der Verlust von Freiheit, Komfort oder Wahlmöglichkeiten. Die Aufmerksamkeit richtet sich in der Planungsphase vor allem auf diese negativen Aspekte. Erst nach der tatsächlichen Einführung der Regelung verschiebt sich der Fokus zunehmend auf deren gesellschaftliche Vorteile, etwa mehr Sicherheit, Gesundheitsschutz oder ökologische Nachhaltigkeit.
Diese Dynamik der Reaktanz ist laut der Studie jedoch nicht dauerhaft, denn die Ablehnung von neuen Gesetzen nimmt typischerweise ab, sobald diese tatsächlich in Kraft sind, was daran liegt, dass mit der Umsetzung die positiven Effekte für das Gemeinwohl sichtbarer und greifbarer werden, während der Verlust an individueller Freiheit als weniger gravierend erlebt wird. Aus Umfragedaten von fast 50.000 Personen sowie sechs präregistrierten Experimenten mit über 4.600 Teilnehmenden konnte man belegen, dass die wahrgenommene Bedrohung durch neue Vorschriften besonders dann abnimmt, wenn deren gesellschaftlicher Nutzen betont wird. Wird etwa kommuniziert, wie viele Menschenleben durch ein Rauchverbot gerettet oder wie viel CO₂ durch ein Tempolimit eingespart werden könnten, fällt die Reaktanz deutlich geringer aus.
Diese Ergebnisse betonen die Bedeutung einer vorausschauenden Kommunikation, die bereits im Vorfeld der Einführung neuer Regelungen auf den gesellschaftlichen Nutzen fokussiert, d. h., politische Maßnahmen könnten auf deutlich weniger Widerstand stoßen, wenn sie nicht nur als Einschränkungen, sondern als kollektive Lösungen für drängende gesellschaftliche Probleme vermittelt werden, sei es im Gesundheitswesen, in der Verkehrssicherheit oder beim Klimaschutz.
Literatur
Granulo, A., Fuchs, C. & Böhm, R. (2025). Psychological reactance to system-level policies before and after their implementation. Proceedings of the National Academy of Sciences, 122, doi:10.1073/pnas.2409907122.
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