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Die berechenbare Unberechenbarkeit: Über die individuelle Stabilität zufälligen Verhaltens

    Ob bei der Flucht vor einem Fressfeind, beim Elfmeterschuss oder in Verhandlungssituationen – erratisches, also scheinbar zufälliges Verhalten kann Menschen und Tiere strategisch entscheidende Vorteile verschaffen. Der Feldhase, der unvermittelt Haken schlägt, ist schwerer zu fangen, der Fußballspieler, der die Torwartreaktion durch unvorhersehbare Schussrichtungen unterläuft, erhöht seine Trefferquote, und ein Verhandlungsführer, der nicht vollständig berechenbar agiert, schafft sich taktischen Spielraum. Doch trotz der offensichtlichen Vorteile bleibt eine grundlegende Frage: Können Menschen wirklich zufälliges Verhalten erzeugen? Oder sind sie in ihrer Unberechenbarkeit letztlich selbst vorhersehbar?

    Die psychologische Forschung zeigt, dass der Umgang mit Zufall Menschen grundsätzlich schwerfällt, dennr sie glauben oft, zufällige Entscheidungen oder Reihenfolgen treffen zu können, tatsächlich unterliegen sie dabei jedoch systematischen Verzerrungen. Etwa neigen Menschen dazu, bei der Erzeugung vermeintlich zufälliger Zahlen- oder Entscheidungsfolgen Wiederholungen zu vermeiden, da sich solche Wiederholungen nicht mit ihrer intuitiven Vorstellung von Zufall vereinbaren lassen. Ein Beispiel: Wird eine „1“ gewürfelt, erscheint es vielen unwahrscheinlich, dass erneut eine „1“ fällt – obwohl bei einem echten Würfelwurf jede Zahl die gleiche Wahrscheinlichkeit hat. Dieses Alternieren von Ergebnissen führt dazu, dass ihre „zufälligen“ Entscheidungen letztlich zu regelmäßig ausfallen.

    Boger et al. (2025) haben in einer aktuellen Studie nicht nur danach gefragt, ob Menschen zufälliges Verhalten erzeugen können, sondern auch, wie individuell und stabil dieses Verhalten über verschiedene Kontexte hinweg ausfällt. In drei umfangreichen Experimenten baten sie Teilnehmerinnen und Teilnehmer darum, wiederholt Zufallsfolgen zu generieren – sowohl in Form von Zahlenreihen als auch in räumlich unterschiedlichen Tastendrücken, wobei sich zeigte, dass jeder Mensch offenbar über eine Art „inneren Zufallsgenerator“verfügt, der sich von Person zu Person unterscheidet, aber innerhalb eines Individuums sehr konsistent bleibt. Diese Konsistenz zeigte sich nicht nur über verschiedene Aufgaben hinweg, sondern sogar über längere Zeiträume, denn in einem dritten Experiment wiederholte man die Tests mit denselben Personen nach einem Jahr und erhielt nahezu identische Ergebnisse. Die Art und Weise, wie Menschen Zufall „produzieren“, scheint also ein stabiles Persönlichkeitsmerkmal zu sein, vergleichbar mit Eigenschaften wie Extraversion oder Risikobereitschaft. Menschen sind damit auf eine paradoxe Weise berechenbar unberechenbar, d. h., ihr scheinbar zufälliges Verhalten folgt individuellen Mustern, die sich statistisch erfassen und vorhersagen lassen.

    Zufall ist also nicht nur ein äußeres Prinzip der Welt, sondern auch ein psychologisches Phänomen mit individueller Prägung und mit stabilen Mustern, d. h., Menschen können sich nicht beliebig erratisch verhalten, denn ihre Fähigkeit, den Zufall zu „simulieren“, ist begrenzt und scheint mehr von ihrer Persönlichkeit als von ihrem Willen abhängig zu sein.



    Literatur

    Boger, T., Yousif, S. R., McDougle, S. D. & Rutledge, R. B. (2025). Random behavior is stable across tasks and time. Journal of Experimental Psychology, doi:10.1037/xge0001755.


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