Die wachsende Nutzung digitaler Technologien durch ältere Menschen hat in den vergangenen Jahren eine intensive Debatte über mögliche kognitive Folgen ausgelöst. Besonders populär wurde dabei der Begriff der „digitalen Demenz“, der vom Psychiater Manfred Spitzer geprägt wurde und besagt, dass digitale Medien – insbesondere bei jungen Menschen – einen intellektuellen Abbau begünstigen könnten. Diese These wurde häufig auf ältere Generationen übertragen, mit der Befürchtung, dass auch sie durch den Einsatz von Smartphones, Tablets oder Computern kognitiv beeinträchtigt würden. Eine aktuelle Meta-Analyse von Benge & Scullin (2025) stellt diese Annahme nun fundiert infrage und liefert neue Einsichten zur Rolle digitaler Technologien im Alterungsprozess des Gehirns.
Die Meta-Analyse untersuchte 57 Studien mit insgesamt 411.430 Teilnehmerinnen und Teilnehmern im Durchschnittsalter von 68,7 Jahren. Ziel war es, die beiden gegensätzlichen Hypothesen zur Wirkung digitaler Technologien auf die Kognition im Alter systematisch zu überprüfen: Einerseits die Vorstellung, dass technologische Nutzung kognitive Verschlechterung begünstigt, andererseits die Annahme, dass digitale Geräte Verhalten fördern können, welches kognitive Ressourcen erhält oder stärkt. Die Auswertung ergab ein deutliches Bild: Die Nutzung digitaler Technologien war mit einem reduzierten Risiko kognitiver Beeinträchtigungen (OR = 0.42, 95% CI 0.35–0.52) und mit einer verlangsamten zeitabhängigen Abnahme kognitiver Funktionen (HR = 0.74, 95% CI 0.66–0.84) assoziiert.
Ein bemerkenswerter Befund der Studie ist, dass diese positiven Effekte auch dann Bestand hatten, wenn demografische, sozioökonomische und gesundheitliche Faktoren sowie Indikatoren der kognitiven Reserve berücksichtigt wurden. Damit widerlegen die Forscher nicht nur die Hypothese der digitalen Demenz bei älteren Menschen, sondern weisen auf die Möglichkeit hin, dass Technologie sogar kognitive Schutzfunktionen entfalten kann. Zwar bleibt offen, ob die Nutzung digitaler Geräte tatsächlich ursächlich zum Erhalt der Kognition beiträgt oder ob Menschen mit besserer Kognition einfach häufiger zu digitalen Technologien greifen. Wahrscheinlich, so die Autoren, liegt eine Wechselwirkung vor.
Die Forscher identifizieren drei zentrale Mechanismen, die diesen Zusammenhang erklären könnten: Komplexität, soziale Verbundenheit und kompensatorisches Verhalten – die sogenannten drei „C’s“ (complexity, connection, compensatory behaviours). Digitale Technologien ermöglichen komplexe Tätigkeiten wie Navigation, Informationssuche oder das Erlernen neuer Inhalte. Sie erleichtern zudem die Pflege sozialer Beziehungen über Plattformen wie E-Mail, soziale Netzwerke oder Videotelefonie. Schließlich bieten sie Möglichkeiten zur Kompensation altersbedingter Einschränkungen, etwa durch digitale Erinnerungen oder Assistenzsysteme. Entscheidend ist dabei jedoch, wie diese Technologien genutzt würden. Eine passive Nutzung – etwa durch zielloses Scrollen oder reines Konsumieren von Inhalten ähnlich dem klassischen Fernsehen – könne den positiven Effekt sogar neutralisieren oder umkehren. Aktivitätsorientierte, interaktive und sozial eingebundene Nutzungsformen hingegen zeigten deutlich stärkere Zusammenhänge mit kognitiven Vorteilen.
Es scheint daher eine Neubewertung der Rolle digitaler Medien im Alter notwendig, da technologische Offenheit und Kompetenzförderung im Seniorenalter nicht nur digitale Teilhabe, sondern auch kognitive Gesundheit begünstigen könnte. Damit gewinnt auch die digitale Bildung Älterer eine neue Bedeutung als potenzieller Bestandteil präventiver Gesundheitsstrategien.
Literatur
Benge, J. F. & Scullin, M. K. (2025). A meta-analysis of technology use and cognitive aging. Nature Human Behaviour, doi:10.1038/s41562-025-02159-9
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