Depressionen sind weit verbreitet und betreffen Menschen aller Geschlechter, jedoch zeigen Statistiken, dass Frauen deutlich häufiger von dieser psychischen Erkrankung betroffen sind als Männer. Während laut der genannten Quelle fünf von 100 Männern depressiv werden, liegt die Zahl bei Frauen bei etwa dem Doppelten. Diese Zahlen werfen die Frage auf, warum Männer scheinbar seltener diagnostiziert werden und welche Rolle geschlechtsspezifische Unterschiede in der Symptomatik und im Umgang mit der Krankheit spielen.
Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Symptomatik
Eine der zentralen Vermutungen ist, dass Depressionen bei Männern oft nicht erkannt werden, weil die Symptome nicht den klassischen Vorstellungen von Depression entsprechen. Während bei Frauen häufig Symptome wie Niedergeschlagenheit, Antriebslosigkeit und sozialer Rückzug beobachtet werden, äußern sich Depressionen bei Männern oft anders. Männer zeigen eher gereiztes Verhalten, erhöhte Aggression oder eine starke Zunahme von Arbeit und körperlicher Aktivität (Addis, 2008). In einigen Fällen kann auch ein erhöhtes Risikoverhalten wie Drogenkonsum oder riskantes Fahrverhalten hinzukommen, was die Diagnose zusätzlich erschwert (Parker et al., 2003). Diese Symptomatik steht in starkem Kontrast zu den stereotypen Vorstellungen über Depression, die in vielen Kulturen mit Passivität und Traurigkeit assoziiert werden. Männer, die sich auf diese Art von Symptomen nicht einlassen oder sich nicht in die gängigen Diagnosekriterien einordnen lassen, werden möglicherweise nicht als depressiv erkannt, was zu einer verzögerten oder gar ausbleibenden Behandlung führt.
Soziale Normen und das Stigma der Schwäche
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die soziale und kulturelle Erwartungshaltung, die Männer dazu drängt, ihre Emotionen zu unterdrücken und sich nicht als „schwach“ oder „verletzlich“ zu zeigen. In vielen Gesellschaften gibt es immer noch das Bild des „starken“ Mannes, der seine Probleme allein lösen sollte. Dies führt häufig dazu, dass Männer weniger geneigt sind, sich professionelle Hilfe zu suchen, selbst wenn sie Symptome einer Depression zeigen (Mahalik et al., 2003). Diese Normen stehen im Widerspruch zu den Bedürfnissen depressiver Männer, die oft eine besondere Form der Unterstützung benötigen, die ihre spezifischen Ausdrucksformen und Erfahrungen berücksichtigt.
Die hohe Suizidrate bei Männern
Ein beunruhigender Aspekt im Zusammenhang mit Depressionen bei Männern ist die signifikant höhere Suizidrate im Vergleich zu Frauen, denn die Suizidrate ist bei Männern in vielen Ländern deutlich höher als bei Frauen, obwohl Frauen häufiger depressive Episoden erleben (Conner et al., 2019). Es wird vermutet, dass die geringere Bereitschaft von Männern, ihre emotionale Not zu teilen oder Unterstützung zu suchen, mit zu dieser höheren Suizidrate beiträgt. Das Fehlen von frühzeitiger Hilfe und Unterstützung könnte dazu führen, dass die Depression bei Männern unbehandelt bleibt und sich verschlechtert.
Psychotherapie und geschlechterspezifische Behandlung
Angesichts dieser Herausforderungen plädieren Fachleute für eine psychotherapeutische Behandlung, die speziell auf die Bedürfnisse von Männern zugeschnitten ist. Dies könnte beispielsweise die Berücksichtigung von Themen wie Männlichkeitsnormen und die Anpassung der Kommunikationsstrategien an die oft zurückhaltende Art vieler Männer umfassen. Einige therapeutische Ansätze, wie etwa die kognitive Verhaltenstherapie, könnten besonders effektiv sein, da sie direkt auf problematische Denkmuster und Verhaltensweisen eingeht, die bei Männern häufig in Verbindung mit Depressionen stehen (Addis, 2008). Zudem ist es wichtig, dass die Gesellschaft insgesamt die Sensibilität für diese Thematik erhöht. Männer müssen ermutigt werden, offen über ihre Gefühle zu sprechen und sich nicht scheuen, bei Bedarf psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Eine breitere Aufklärung und die Entstigmatisierung von psychischen Erkrankungen könnten dabei helfen, das Tabu rund um die psychische Gesundheit von Männern zu brechen.
Insgesamt stellen die erhöhte Suizidrate und die verzögerte Diagnose von Depressionen bei Männern gravierende Probleme dar, die nicht nur auf individuelle Ursachen, sondern auch auf gesellschaftliche Normen und Rollenbilder zurückzuführen sind. Eine erkennbare Anpassung der Psychotherapie und eine verstärkte Sensibilisierung in der Gesellschaft sind daher essenziell, um der psychischen Gesundheit von Männern gerecht zu werden und den Teufelskreis von unerkannter oder unbehandelter Depression zu durchbrechen.
Literatur
Addis, M. E. (2008). Gender and depression in men. Clinical Psychology: Science and Practice, 15, 153-168.
Conner, K. R., Beautrais, A. L. & Hatcher, S. (2019). Gender differences in suicide rates: A review of the literature. Archives of Suicide Research, 23, 502-523.
Mahalik, J. R., Burns, S. M. & Syzdek, M. (2007). Masculinity and perceived normative health behaviors as predictors of men’s health behaviors. Social Science & Medicine, 64, 2201-2209.
Parker, G., Brotchie, H. & O’Rourke, P. (2003). Gender and depression: An update on recent epidemiological findings. Australian & New Zealand Journal of Psychiatry, 37, 24-33.
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