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Selbstberichte sollten in der Psychologie mehr Gewicht erhalten

    Corneille & Gawronski (2024) haben die derzeit populären Methoden zur Messung psychologischer Konstrukte, insbesondere den Impliziten Assoziationstest (IAT) und das Affect Misattribution Procedure (AMP) untersucht. Diese Instrumente wurden lange als besonders wertvoll angesehen, da sie automatisch ablaufende, unbewusste Prozesse messen und somit soziale Erwünschtheit umgehen können. Doch es zeigt sich, dass diese Messmethoden nicht die erhoffte Objektivität und Unabhängigkeit von sozialen Kontexten gewährleisten, sodass eine kritische Neubewertung der Rolle impliziter Messungen in der psychologischen Forschung notwendig ist.

    Zentral für die Argumentation ist, dass implizite Messungen ebenfalls anfällig für kontextuelle Verzerrungen sind, denn so können die Ergebnisse durch den sozialen Kontext der Untersuchung beeinflusst werden, etwa durch die Art und Weise, wie Versuchsleiter nonverbale Hinweise auf die gewünschte Antwort geben. In ähnlicher Weise können Selbstberichte durch soziale Erwünschtheit und Frageformulierung verzerrt werden, jedoch ist auch hier die Reihenfolge der Fragen oder die Betonung von Aspekten durch den Experimentator eine potenzielle Quelle für Verzerrungen. Man müsste bei Untersuchungsdesigns daher die Auswirkungen des sozialen Kontextes sowohl für implizite als auch für explizite Messmethoden berücksichtigen. Corneille & Gawronski (2024) kritisieren auch die Vorhersagegenauigkeit von impliziten Messungen, denn es zeigt sich, dass Teilnehmer in der Lage sind, ihre eigenen Ergebnisse in solchen Tests mit relativ hoher Genauigkeit vorherzusagen, was nahelegt, dass die Inhalte, die in impliziten Tests erfasst werden, nicht vollständig unbewusst sind, wie oft behauptet wird. Infolgedessen hinterfragen die Autoren, ob der IAT und ähnliche Verfahren wirklich die unbewussten mentalen Prozesse messen, die sie zu messen vorgeben. Corneille und Gawronski widerlegen auch die weit verbreitete Annahme, dass implizite Messungen besser geeignet sind, automatische Prozesse zu erfassen als Selbstberichte. Sie argumentieren, dass Selbstberichte, in Verbindung mit modernen Methoden wie Prozess-Dissociation-Techniken oder beschleunigten Aufgaben, in der Lage sind, sowohl automatische als auch kontrollierte kognitive Prozesse zuverlässig zu messen. Diese Techniken bieten eine präzisere Möglichkeit, den Einfluss unbewusster Prozesse auf das Verhalten zu erfassen.

    Die Autoren betonen weiterhin die Vorteile von Selbstberichten, den diese bieten nicht nur eine höhere Zuverlässigkeit, was sich in einer besseren internen Konsistenz und Stabilität bei wiederholten Messungen äußert, sondern auch eine stärkere prädiktive Validität sowohl für bewusste als auch spontane Verhaltensweisen. Selbstberichte ermöglichen es nämlich, komplexe psychologische Konstrukte zu erfassen, die in impliziten Messungen nur schwer zugänglich wären. Diese Flexibilität macht Selbstberichte zu einem nützlichen und unverzichtbaren Instrument in der psychologischen Forschung.



    Literatur

    Corneille, O., & Gawronski, B. (2024). Reconsidering the role of implicit measures in psychological science. Nature Reviews Psychology, 5, 1-13.


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