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Legasthenie und Gehirnstruktur

    Eine Studie von Soheili-Nezhad et al. (2024) untersucht den Zusammenhang zwischen genetischer Veranlagung zur Legasthenie und der Hirnstruktur bei Erwachsenen. Ziel war es, die strukturellen Gehirnkorrelate der genetischen Prädisposition zur Legasthenie zu erfassen und zu verstehen, wie genetische Varianten, die mit dieser Störung assoziiert sind, mit Veränderungen in der Hirnstruktur zusammenhängen.

    Die Forscher analysierten dabei genetische Daten von 51.800 Menschen mit und mehr als einer Million Menschen ohne diagnostizierte Legasthenie, wobei diese genetischen Varianten mit Gehirnscans von mehr als 30.000 Erwachsenen aus der UK Biobank verglichen wurden. Die Ergebnisse der Analyse zeigten, dass bei den genetisch predisponierten Personen bestimmte Gehirnregionen entweder vergrößert oder verkleinert waren. So wiesen betroffene Personen ein vermindertes Volumen in Hirnarealen auf, die mit motorischer Koordination und Sprachverarbeitung verbunden sind, wie der primäre motorische Kortex und der linke temporoparietale Übergang. Andererseits waren Regionen, die mit visuellen Prozessen und dem Gedächtnis in Verbindung stehen, wie der visuelle Kortex und der mittlere Temporallappen, vergrößert.

    Ein besonders bemerkenswerter Befund war die Veränderung in der Mikrostruktur der inneren Kapsel, einer weißen Hirnsubstanz, die tief im Gehirn liegt und wichtige kognitive Funktionen sowie Verbindungen zwischen dem Thalamus und dem Frontalkortex vermittelt. Diese Veränderung war bei den genetisch vorbelasteten Personen durch eine geringere Dichte in der inneren Kapsel gekennzeichnet. Interessanterweise zeigte sich diese Veränderung nicht nur bei Legasthenie, sondern auch bei Personen mit ADHS, geringerem Bildungsniveau und niedrigerer fluider Intelligenz – alles Faktoren, die häufig mit Legasthenie assoziiert sind.

    Generell offen bleibt die Frage, ob diese Hirnveränderungen die Ursache oder Folge der Legasthenie sind, wobei einige der beobachteten Veränderungen bereits während der frühen Gehirnentwicklung auftreten könnten, etwa im Fötus- oder Säuglingsalter, und dann ein Leben lang stabil bleiben. Andererseits könnten einige Veränderungen auch Reaktionen des Gehirns auf jahrelanges Verhalten, wie das Vermeiden von Leseaktivitäten, widerspiegeln, was langfristig das visuelle System beeinflussen könnte.

    Zukünftige Studien sollen klären, welche der beobachteten Hirnveränderungen die Entstehung von Legasthenie bedingen und welche Veränderungen später auftreten. Dies könnte dazu beitragen, genauere diagnostische und therapeutische Ansätze zu entwickeln, um die Legasthenie frühzeitig zu erkennen und individuell anzusprechen.



    Literatur

    Soheili-Nezhad, S., Schijven, D., Mars, R. B., Fisher, S. E. & Francks, C. (2024). Distinct impact modes of polygenic disposition to dyslexia in the adult brain. American Association for the Advancement of Science, 10, doi:10.1126/sciadv.adq2754


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