Das Gehirn besitzt zwei allgemeine Fähigkeiten für das Manövrieren in der sozialen Welt. Die Empathie ist gefühlsbasiert und hilft uns, an den Emotionen des anderen teilzunehmen. Die zweite, die Fähigkeit zum Perspektivwechsel, ist ein komplexer Denkprozess, der dazu dient, sich die Umstände des anderen vorzustellen und darüber nachzudenken, was diese Person denken könnte.
Diese beiden abstrakten Fähigkeiten zum Eindenken und Einfühlen in Andere setzen sich wiederum aus verschiedenen Bausteinen zusammen. Beide Gesamtkompetenzen werden jeweils von einem auf Empathie oder Perspektivwechsel spezialisierten Hauptnetzwerk im Gehirn verarbeitet, die in jeder sozialen Situation aktiviert werden, ziehen aber je nach Situation zusätzliche Netzwerke hinzu. Liest man die Gedanken und Gefühle anderer etwa von deren Augen ab, sind andere Zusatzregionen beteiligt als wenn man sie aus deren Handlungen oder aus einer Erzählung erschließen muss. Das Gehirn kann so sehr flexibel auf die einzelnen Anforderungen reagieren.
Für Empathie arbeitet ein Hauptnetzwerk, das akut bedeutsame Situationen erkennen kann, indem es etwa Angst verarbeitet, mit spezialisierten zusätzlichen Regionen, etwa für Gesichts- oder Spracherkennung zusammen. Beim Wechseln der Perspektive sind als Kernnetzwerk die Regionen aktiv, die auch beim Erinnern an Vergangenes oder dem Fantasieren über Zukünftiges zum Einsatz kommen, also bei Gedanken, die sich mit aktuell nicht beobachtbaren Dingen befassen. Auch hier schalten sich in den konkreten Situationen jeweils zusätzliche Hirnregionen hinzu. Gerade die besonders komplexen sozialen Probleme erfordern eine Kombination aus Empathie und Perspektivwechsel.
Menschen, die besonders sozial kompetent sind, scheinen demnach andere auf beide Arten zu betrachten, also auf der Grundlage von Gefühlen und auf der von Gedanken. In ihrem Urteilsvermögen finden sie dann die richtige Balance aus beidem. Ein Mangel an einer der beiden Sozialkompetenzen kann auch bedeuten, dass nicht die Kompetenz als Ganzes begrenzt ist, denn womöglich ist nur ein bestimmter Teilfaktor betroffen, etwa das Verständnis von Mimik oder Sprachmelodie.
Literatur
Schurz, Matthias, Radua, Joaquim, Tholen, Matthias G., Maliske, Lara, Margulies, Daniel S., Mars, Rogier B., Sallet, Jerome & Kanske, Philipp (2020). Toward a hierarchical model. Psychological Bulletin, doi:10.1037/bul0000303.
Stangl, W. (2020). Stichwort: ‚Perspektivübernahme ‚. Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik.
WWW: https://lexikon.stangl.eu/30342/perspektivuebernahme (20-12-21)
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