Man will nicht nur glücklich sein,
sondern glücklicher als die anderen.
Und das ist deshalb so schwer,
weil wir die anderen für glücklicher halten,
als sie sind.
Charles-Louis de Montesquieu
Das Glück hat die Vorstellungswelten der Menschen tiefgreifend beeinflusst und ist heute im Alltag präsent bis über die Grenze des Erträglichen hinaus. Glück ist zu einem grundlegenden Bestandteil dessen geworden, wie Menschen sich selbst und die Welt verstehen und interpretieren. Damit ging allerdings ein Bedeutungswandel einher, der Glück als interne Ressource mehr oder minder von den Menschen abkoppelte, und die Machbarkeit bzw. Herstellbarkeit durch externe Faktoren in den Mittelpunkt rückte.
Ed Diener (University of Illinois) schrieb 1984 den Artikel „Subjective Well-Being“ im Psychological Bulletin und schuf damit eine Grundlage für die Psychologie des Wohlbefindens („Pursuit of Happiness“). Seither beschäftigen sich die Wissenschaftler dieser Disziplin sich mit der Lebenszufriedenheit und den Faktoren, die glücklich machen. Dabei unterscheidet man zwischen aktuellem Wohlbefinden und „habituellem Wohlbefinden“, also zwischen momentaner und längerfristiger Lebenszufriedenheit.
Ein wesentlicher Faktor des Wohlbefindens ist der individuelle „Set-Point“, der Sollwert, der zumindest zum Teil genetisch bedint. David Lykken und Auke Tellegen (University of Minnesota) fanden in Studien mit getrennt aufgewachsenen eineiigen Zwillingen, dass deren Lebenszufriedenheit relativ ähnlich war, auch wenn sie in vollkommen unterschiedlichen sozialen Umwelten aufgewachsen waren.
Glücklichere Menschen sind gesünder, aber führt glücklicher sein auch zu besserer Gesundheit? Diener et al. (2017) hatten gezeigt, dass vor allem das Immunsystem vom subjektiven Wohlbefinden profitiert, weniger aber das Herz-Kreislauf-System, doch beschränkten sich bisherige Experimente meist auf kurze Interventionen im Labor. In einer sechsmonatigen, randomisierten, kontrollierten Studie mit 155 Erwachsenen fand man zumindest Effekte auf die selbstberichtete körperliche Gesundheit, gemessen an der Anzahl der Tage im Vormonat, an denen sich die Teilnehmer gesund oder krank gefühlt hatten. In einer Teilstichprobe fand man auch Hinweise darauf, dass Verbesserungen des subjektiven Wohlbefindens im Verlauf des Programms einen Rückgang der Zahl der Krankheitstage vorhersagten. Durch die Kombination von experimentellen und longitudinalen Methoden liefert diese Untersuchung vorsichtig interpretiert einige Belege für einen kausalen Effekt des subjektiven Wohlbefindens auf die selbstberichtete körperliche Gesundheit. Ein gesteigertes Erleben von Sinnhaftigkeit hat hingegen nicht zum körperlichen Wohlbefinden beigetragen, und auch Blutdruck und Übergewicht haben sich im Zuge des Trainings nicht verändert, d. h., es gibt keinen gesicherten Hinweis darauf, dass die Intervention einen Effekt auf die objektive Gesundheit hat (Kushlev et al., 2020).
Neuere Forschungsergebnisse zeigen, dass sich der seelische Sollwert im Laufe des Lebens auf Grund emotional einschneidender Ereignisse auch dauerhaft verändern kann. Durch schwere emotionale Krisen kann sich dieser Sollwert allerdings dauerhaft in den Negativbereich verschieben. Maike Luhmann und Michael Eid (FU Berlin) zeigten, dass sich bei mehrfachen Auftreten von starken emotionalen Ereignissen, etwa mehrmaliger Arbeitslosigkeit oder mehreren Schicksalsschlägen, der Level der Lebenszufriedenheit sehr stark ins Negative verschieben kann. Nach nur einem kuzzeitig wirksamen positiven oder negativen Gefühlserleben kehren aber die meisten Menschen auf ihren „normalen“ Wohlbefindlichkeitsstand zurück.
Aber es gibt folgerichtig auch Möglichkeiten, das eigene Wohlbefinden positiv zu beeinflussen. Mit folgenden Strategien kann man aber sein Wohlbefinden steigern kann:
- Ziele verfolgen, die man persönlich sehr wertschätzt;
- sich positiven Aspekten des Lebens öffnen;
- sich aktiv für andere Menschen einsetzen und ihnen helfen;
- soziale Kontakte pflegen und
- positive Gefühle anderen gegenüber ausdrücken und kultivieren.
Sonja Lyubomirsky (University of California Riverside) wies nach, dass glückliche Menschen länger leben, gesünder, kreativer, produktiver und beruflich erfolgreicher sind, sich gesellschaftlich stärker engagieren und befriedigende soziale Beziehungen haben.
Übrigens gaben im Jahr 2012 die Vereinten Nationen zum ersten Mal einen weltweiten Bericht zum Glücksempfinden der Menschen heraus, den World Happiness Report, der in der Folge dann jährlich vom Sustainable Development Solutions Network veröffentlicht wird. Der Bericht enthält Ranglisten zur Lebenszufriedenheit in verschiedenen Ländern der Welt und Datenanalysen aus unterschiedlichen Perspektiven, also die Gründe für Glück und Unglück sowie politische Folgerungen, die durch Fallstudien belegt werden. Die Berichte nutzen Daten des Gallup World Poll, wobei jeder Report allgemein zugänglich ist und von der Website des World Happiness Report heruntergeladen werden kann. In den Berichten beschreiben Experten unterschiedlicher Wissenschaften wie Wirtschaft, Psychologie, Umfrageanalyse und Statistik, wie das Messen des Wohlbefindens effektiv genutzt werden kann, um den Fortschritt von Nationen zu erfassen.
Link: https://worldhappiness.report
Negative Seiten der Glückssuche
Kim & Maglio (2018) haben in einer Untersuchung gezeigt, wie die explizite Suche nach Glück zu Unzufriedenheit und Stress führen kann, denn das führt häufig dazu, dass die Suchenden durch ihre eigenen Ansprüche unter Zeitdruck geraten. Wer unbedingt zufriedener werden will, entwickelt das Gefühl, dass ihm nicht ausreichend Zeit für Aktivitäten zur Verfügung steht, die zu diesem Ziel führen können. Menschen, die dem Glück verkrampft nachlaufen, geraten dabei in eine Spirale des Scheiterns, in der immer verbissener gearbeitet werden muss, um das Glück zu erreichen. Solche Menschen geraten in eine negative Denkspirale, die in der Folge die Entstehung zahlreicher psychischer Erkrankungen begünstigt.
*** Hier KLICKEN: Das BUCH dazu! *** Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Glücksdiktat findet sich in dem gleichnamigen Buch von Eva Illouz und Edgar Cabanas, denn sie sehen, dass Glück eine Art Lifestyle geworden ist, denn wer kein Glück hat, ist selber schuld. Glück ist individualistisch und konsumorientiert geworden, und wirft die Menschen letztlich immer auf ihr Innenleben zurück, d. h., permanent sollen sie auf ihre Gefühle, Gedanken, Empfindungen usw. hören. Das ist aber eine sehr konservative Idee, die letztlich sagt, man kann sein Leben einfach dadurch ändern, dass man sich selbst ändert und nicht die Verhältnisse, in denen man lebt. Die Positive Psychologie hat sich seit den 1990er-Jahren mit ihren Lehren von Selbstwirksamkeit, Achtsamkeit und der Transformation negativer Gefühle sogar im akademischen Feld etablieren können, und formte im Verbund mit Glücksforschung und Glücksökonomie Glück zu einer steuerbaren, berechenbaren und vor allem verkäuflichen Phänomen. Dieser Prozess wurde nach Ansicht der beiden Autoren methodisch von Stimmungsanalysen und digitaler Selbstvermessung, bildgebenden Verfahren in der Hirnforschung und Big Data gestützt. Dadurch wurde Glück zum messbaren Gegenstand einer ganzen Industrie. Vor allem geht es um die Auswirkungen dieses Phänomens auf die Gesellschaft, denn wenn Glück höchst individualistisch aufgefasst wird, wird es als solches aber zugleich zum Index des gesellschaftlichen Gemeinwohls, sodass etwa Sozialabbau leicht zu rechtfertigen ist. Soziale Verantwortung, Empathie oder gesellschaftskritisches Denken gehen in diesem Prozess verloren, der selbst nur immer mehr Unglück erzeugt. Hinzu kommt, dass der neue Psychobürger gerade deshalb glücklich ist, weil er seine Gefühle im Griff hat, sich im „personal branding“ seinem authentischen Selbst anzunähern glaubt oder nach persönlicher Optimierung strebt. Wer glücklich ist, ist selbst dafür verantwortlich, und wer leidet eben auch, denn wenn man Glück als eine Wahl versteht, dann wird auch das Leiden zu einer Wahl, denn dann leidet man entweder, weil man leiden möchte, oder, weil man es verdient hat, weil man eben nicht alles dafür tut, das Leid zu überwinden.
Die Schriftstellerin Ildikó von Kürthy antwortete in einem Interview auf die Frage nach ihrem Glücksrezept:
Da gibt es kein Rezept und Glück im Übrigen auch nicht. Überhaupt finde ich diese permanente Suche danach nicht nur unnütz, sondern sogar fatal, denn damit vermittelt man den Leuten, dass sie auch noch selbst schuld daran seien, wenn das Glück nicht und nicht kommt. Es gibt auch keine glückliche Ehe. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin gerne, aber nicht glücklich verheiratet. Wie in jeder Beziehung gibt es auch bei uns Höhen und Tiefen: Mein Mann ist kein Prinz, meine Söhne sind nicht perfekt.
Schlüsselereignisse und ihre Folgen
Im Leben eines Menschen gibt es einige einschneidende Erlebnisse, die nicht so ohne Weiteres verarbeitet werden können. Luhmann et al. (2012) haben in einer Metastudie 188 Arbeiten analysiert, in denen über einen längeren Zeitraum kritische Lebensereignisse von über 65000 Menschen verfolgt worden waren, darunter vier familiäre Ereignisse (Heirat, Scheidung, Tod eines Angehörigen und Geburt eines Kindes) und vier berufliche Marksteine (Arbeitslosigkeit, Wiederbeschäftigung nach Arbeitslosigkeit, Ruhestand und berufsbedingter Umzug). Dabei wurden für jedes kritische Lebensereignis durchschnittliche Änderungsraten des Wohlbefindens für die Zeit nach dem Ereignis berechnet, wobei sie das Wohlbefinden nach kognitivem und gefühltem Glück aufschlüsselten. Kognitives Wohlbefinden entspricht der allgemeinen eher rationalen Bewertung des eigenen Lebens, also mehr oder minder der allgemeinen Lebenszufriedenheit, die jemand äußert. Gefühltes Glück oder affektives Wohlbefinden bezog sich hingegen darauf, was Menschen fühlen und nicht so leicht benennen können.
- Arbeitslosigkeit: Nachdem die befragten Personen arbeitslos wurden, waren sie deutlich schlechter gelaunt, was sich auch Jahre danach nicht änderte, und auch die Lebenszufriedenheit nahm kurz nach Beginn der Arbeitslosigkeit ab, stieg danach kontinuierlich an, erreichte aber erst drei Jahre danach ihren Ausgangszustand. FArbeitslosigkeit ist offensichtlich eein sehr negatives Ereignis, an das Menschen sich erst nach über drei Jahren anpassen können.
- Die Freude über eine Wiederbeschäftigung hielt sich in Grenzen und stieg im weiteren Verlauf nur leicht an, wobei die Lebenszufriedenheit sogar abnahm und erst zehn Monate nach Wiederbeschäftigung wieder ihren Ausgangswert erreichte. Offensichtlich erwarteten sich die Wiederbeschäftigtem zu viel und waren enttäuscht, als ihre Erwartungen nicht zutrafen.
- Die Menschen waren nach ihrer Versetzung in den Ruhstand fröhlicher als zuvor, sie waren jedoch mit ihrem Leben danach unzufriedener, und es dauerte etwa fünf Jahre, bis sie sich gedanklich daran gewöhnt hatten. Durch den Ruhestand wurde der Tag offensichtlich unstrukturierter, die Ruheständler trafen weniger Menschen, verdienten weniger, was sich alles auf die Lebenszufriedenheit auswirkt.
- Von allen Ereignissen macht ein Umzug am glücklichsten und auch emotional wurde das Leben nach dem Ortswechsel für besser befunden. Vermutlich überschätzen Menschen die negativen Auswirkungen eines Umzugs.
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass Menschen gedanklich und gefühlsmäßig noch Jahre damit zu kämpfen haben. Besonders gravierend waren die Folgen einer Arbeitslosigkeit, nach der das Wohlbefinden über Jahre hinweg deutlich abnahm, aber auch eine Wiederbeschäftigung und teilweise der Ruhestand hatte negative lang andauernde Gefühle zur Folge.
Die Ergebnisse zeigen, dass das Wohlbefinden doch nicht so schnell zum Ausgangsniveau zurückkehrt, wie Glücksforscher manchmal behaupten.
Die sechs Säulen des Wohlbefindens
Für längerfristiges Wohlbefinden benötigt man positive Emotionen, eine Aufgabe, für die man brennt, stabile Beziehungen und einen Sinn im Leben, sei es privat oder beruflich. Zu viel Aktivität kann dieses Wohlbefinden zerstören, d. h., man benötigt Rückzugsorte und Zeiten der Stille, also Zeiten, in denen man einfach ruhig werden, reflektieren und bei sich sein kann. Nach Carol Ryff (1989) sind die sechs Säulen des Wohlbefindens Selbstakzeptanz, soziale Beziehungen, Autonomie, Lebenszweck, aktive Umweltgestaltung und persönliches Wachstum.
Literatur
Diener, E., Pressman, S.D., Hunter, J. & Delgadillo‐Chase, D. (2017). If, Why, and When Subjective Well‐Being Influences Health, and Future Needed Research. Appl Psychol Health Well‐Being, 9, 133-167.
Ford, B.Q., Lam, P., John, O.P. & Mauss I.B. (2017). The Psychological Health Benefits of Accepting Negative Emotions and Thoughts: Laboratory, Diary, and Longitudinal Evidence. J Pers Soc Psychol, doi: 10.1037/pspp0000157.
Kim, Aekyoung & Maglio, Sam (2018). Vanishing time in the pursuit of happiness. Psychonomic Bulletin & Review, doi:10.3758/s13423-018-1436-7.
Kushlev, K., Heintzelman, S. J., Lutes, L. D., Wirtz, D., Kanippayoor, J. M., Leitner, D., & Diener, E. (2020). Does Happiness Improve Health? Evidence From a Randomized Controlled Trial. Psychological Science, doi:10.1177/0956797620919673.
Luhmann, Maike, Hofmann, Wilhelm, Eid, Michael & Lucas, Richard E. ( 2012). Subjective Well-Being and Adaptation to Life Events: A Meta-Analysis. Journal of Personality and Social Psychology, 102, 592–615.
Ryff, C. (1989). Happiness is everything, or is it? Explorations on the meaning of psychological well-being. Journal of Personality and Social Psychology, 57, 1069–1081.
Ryff, C., & Keyes, C. (1995). The structure of psychological well-being revisited. Journal of Personality and Social Psychology, 69, 719–727.
http://www.liberalarts.wabash.edu/ryff-scales/ (05-11-17)
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