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Das Gehirn und die Zahl Null

    Das Verarbeiten der Zahl Null ist für das menschliche Gehirn bekanntlich eine alles andere als triviale Leistung, denn eine leere Menge, ein Nichts, muss dabei als Teil der mentalen Zahlenreihe erkannt und korrekt eingeordnet werden. Schon die Vorfahren beherrschten das Zählen und schufen sich Zahlensysteme, um Mengen anzugeben, wobei sich im Gehirn sogar eigene Areale für die Verarbeitung von Zahlengrößen entwickelt haben. In der Menschheitsgeschichte hat es lange gedauert, bis die Null als Zahl erkannt und genutzt wurde, und auch Kinder verstehen erst lange nachdem sie Zählen gelernt haben, dass auch die Null als Zahl zu betrachten ist.

    Ramirez-Cardenas et al. (2016) haben bei Versuchen mit Primaten untersucht, wo und wie die Zahl Null im Gehirn verarbeitet wird. Sie trainierten Rhesusaffen darauf, Punktmengen von Null bis vier zu erkennen und zuzuordnen, wobei eine solche Aufgabe für diese prinzipiell kein Problem darstellt, auch wenn manchmal Fehler vorkommen (siehe dazu das eidetische Phänomen). Die Affen ordneten die Bilder mit keinem Punkt wesentlich häufiger der nächsthöheren Kategorie eins zu als anderen Punktmengen, was dafür spricht, dass auch die Affen die Null bereits als Teil ihrer Zahlenreihe sehen und sie dort neben der Eins platzieren. Die Untersuchung der Gehirnaktivität der Affen zeigte, dass das in zwei Arealen passiert: dem hinter der Stirn liegenden präfrontalen Cortex und dem Scheitellappen. Beide Hirnareale spielen eine Schlüsselrolle bei der Verarbeitung von Mengen, wobei der präfrontale Cortex als nachgeschaltete, kognitiv übergeordnete Verarbeitungsebene gilt. Der Vergleich der beiden Hirnareale zeigte nun, wie leere Mengen offensichtlich neuronal abgebildet werden: im Scheitellappen registrierten die Nervenzellen die Abwesenheit von zählbaren Punkten noch als fehlenden visuellen Reiz, d. h., für diese war da einfach ein Nichts ohne quantitative Bedeutung, während hingegen im übergeordneten präfrontalen Cortex die Neuronen ähnlich aktiv wie beim Anblick einer Menge zwischen einem und vier Punkten waren. Dieses Ergebnis spricht dafür, dass dieses Hirnareal ein „Nichts“ im Kontext dieser Aufgabe anders betrachtet, d. h., als eine leere Menge, die damit in der mentalen Zahlenreihe vor der Eins steht. Erst im Stirnlappen wird somit die leere Menge als Wert auf dem Zahlenstrahl abstrahiert, sodass es eine Hierarchie in der Verarbeitung gibt, und die Null erst auf Weg vom Scheitellappen zum präfrontalen Cortex nach und nach aus dem rein visuellen Kontext gelöst und in das numerische Kontinuum eingeordnet wird.

    Nach Howard et al. (2018) besitzen auch Honigbienen ein primatennähnliches Verständnis von Zahlenwerten und auch der auch Null, was angesichts der Größe ihres Gehirns überraschend ist, denn es umfasst weniger als eine Million Neuronen. Nach Ansicht der AutorInnen sind demnach große Gehirne also nicht unbedingt notwendig, wobei sie vermutlich deshalb  spezielle neuronale Mechanismen für Zahlen entwickelt haben, da sie sehr unterschiedliche Nahrungsquellen aufsuchen müssen. In einem Experiment mussten Bienen lernen, aus Bildern jeweils das Bild mit der geringsten Zahl an Punkten anzufliegen und erhielten Zuckersaft als Belohnung, wobei die Punktmengen zwischen 1 und 4 oder 2 und 5 lagen. Schon nach wenigen Durchgängen steuerten achtzig Prozent zielsicher den jeweils niedrigeren Zahlenwert an. Nun sollten die Insekten zwischen einer ihnen schon bekannten Punktmenge und einem leeren Blatt wählen, wobei im Durchschnitt über sechzig Prozent der Bienen  das leere Blatt ansteuerten, obwohl sie dies nie zuvor geübt hatten, wodurch sichtbar wurde, dass der Zahlenwert Null am unteren Ende des Zahlenstrangs liegt, also dass Null kleiner ist als eins bzw. zwei ist.
    Übrigens: je näher zwei Punktmengen zahlenmäßig beieinander lagen, desto eher machten die Tiere Fehler, was auch Menschen bei solchen Experimenten tun.

    In einer neueren Studie, in der Menschen Zahlenaufgaben gestellt wurden, konnte eine Korrelation zwischen der Zahl und der Gehirnaktivität festgestellt werden. Das Gehirn scheint für jede Zahl spezielle Neuronen zu haben, d.h. einige feuern bei einer Eins, andere bei einer Zwei und so weiter. Man entdeckte dabei auch, dass das Gehirn solche Neuronen auch für die Null hat, die das Gehirn vor die Eins setzt, aber diese Neuronen feuerten nicht nur, wenn die Menschen eine Null sahen, sondern auch bei einem weißen Bildschirm, was nichts anderes bedeutet, als dass die Null im Gehirn auch für die generelle Abwesenheit von etwas steht. Offenbar hat sich das Verständnis der Null im Laufe der Evolution entwickelt, als unsere Vorfahren bemerkten, dass etwas nicht mehr da war, zum Beispiel ein gefährliches Tier.



    Literatur

    Howard, Scarlett R., Avarguès-Weber, Aurore, Garcia, Jair E., Greentree, Andrew D. & Dyer, Adrian G. (2018). Numerical ordering of zero in honey bees. Science, 360, 1124-1126.
    Ramirez-Cardenas, A., Moskaleva, M. & Nieder, A. (2016). Neuronal Representation of Numerosity Zero in the Primate Parieto-Frontal Number Network. DOI: http://dx.doi.org
    /10.1016/j.cub.2016.03.052
    http://www.scinexx.de/wissen-aktuell-20107-2016-04-25.html (16-04-26)


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