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Neurohormone fördern Kooperation und Feindseligkeit gleichzeitig

    Stress ist eine allgegenwärtige menschliche Erfahrung – und doch bleibt seine Wirkung auf das soziale Verhalten widersprüchlich. Lange wurde Stress mit dem klassischen „fight-or-flight“-Muster assoziiert, einer instinktiven Reaktion, bei der entweder der Kampf gesucht oder die Flucht ergriffen wird. Neuere psychologische Theorien ergänzen dieses Bild um das sogenannte „tend-and-befriend“-Verhalten, bei dem Individuen unter Stress prosozial auf ihre soziale Umgebung reagieren, um Schutz und Unterstützung zu erhalten. Eine aktuelle Studie von Dashti et al. (2025) liefert nun wichtige Erkenntnisse darüber, wie beide Reaktionsmuster gleichzeitig durch physiologische Stressprozesse aktiviert werden können – und inwiefern diese Doppelwirkung zur Polarisierung von Gruppen beiträgt.

    Im Mittelpunkt der doppelblind-kontrollierten psychopharmakologischen Untersuchung stand die Frage, wie sich die beiden zentralen neurohormonellen Botenstoffe Cortisol und Noradrenalin – die bei akutem Stress ausgeschüttet werden – auf das Verhalten von Menschen in konflikthaften Gruppensituationen auswirken. Dazu wurden Probandinnen und Probanden in eine Reihe ökonomischer Entscheidungsspiele eingebunden, bei denen sie als Mitglieder einer Ingroup gegen wechselnde Outgroups antraten. Ziel war es, reale finanzielle Gewinne zu maximieren – oder aber, innerhalb der eigenen Gruppe altruistisch zu handeln, selbst wenn dies mit persönlichen Verlusten verbunden war. Eine dritte Option erlaubte es, zusätzlich zur Förderung der eigenen Gruppe die konkurrierende Gruppe finanziell zu schädigen, was ebenfalls zu persönlichen Einbußen führen konnte. Diese komplexe Spielarchitektur ermöglichte eine differenzierte Messung prosozialer, egoistischer und feindseliger Motive.

    Die Versuchsbedingungen variierten hinsichtlich der pharmakologischen Manipulation: Die Teilnehmenden erhielten entweder Hydrocortison (zur Stimulation der Cortisolwirkung), Yohimbin (zur Verstärkung der Noradrenalinaktivität), eine Kombination beider Substanzen oder ein Placebo. Die Ergebnisse zeigten eine deutliche Differenzierung: Cortisol erhöhte die Kooperationsbereitschaft innerhalb der eigenen Gruppe, förderte also die sogenannte parochiale Solidarität. Noradrenalin hingegen wirkte spezifisch auf die intergruppale Aggression – Versuchspersonen, bei denen der noradrenerge Pfad aktiviert wurde, zeigten ein signifikant erhöhtes Maß an feindseligem Verhalten gegenüber Mitgliedern der Fremdgruppe, selbst wenn sie dadurch persönliche Verluste in Kauf nehmen mussten.

    Diese neurochemische Differenzierung liefert eine neuartige Perspektive auf das Verhalten unter Stress: Statt sich ausschließlich in Richtung Kampf oder Kooperation zu entscheiden, können Menschen gleichzeitig zur Unterstützung ihrer eigenen Gruppe und zur Abwertung oder Bekämpfung von Außenstehenden motiviert werden. Stress wirkt somit nicht eindimensional, sondern aktiviert mehrere, teils widersprüchliche Verhaltenssysteme, deren Dominanz durch die jeweilige hormonelle Balance und durch soziale Kontexte bestimmt wird. Dies erklärt auch, warum gewaltsame intergruppale Konflikte oftmals so hartnäckig bestehen bleiben, obwohl alle Beteiligten darunter leiden.

    Die Studienergebnisse legen nahe, dass gerade in Situationen kollektiven Stresses etwa durch politische, ökonomische oder ökologische Krisen eine gleichzeitige Verstärkung innerer Gruppenkohäsion und äußerer Feindseligkeit stattfinden kann. Diese Dynamik trägt möglicherweise zur gegenwärtig weltweit beobachtbaren Polarisierung von Gesellschaften bei, in denen Gruppenidentitäten schärfer konturiert und Feindbilder intensiver gepflegt werden als zuvor. Diese Untersuchung verdeutlicht auch die Ambivalenz der menschlichen Stressantwort: Sie kann verbinden und trennen zugleich, den sozialen Zusammenhalt stärken und zugleich neue Konfliktlinien ziehen.



    Literatur

    Dashti, D., Lüpken, L. M., Seidisarouei, M., Forbes, P. A. G., Schnitzler, A. & Kalenscher, T. (2025). Dissociable glucocorticoid and noradrenergic effects on parochial cooperation and competition in intergroup conflict. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, 122(29), doi:10.1073/pnas.2502257122


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