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Wie sich das Gehirn an die richtige Reihenfolge erinnert

    Was passiert in unserem Gehirn, wenn wir uns an etwas erinnern – zum Beispiel daran, in welcher Reihenfolge uns Bilder gezeigt wurden? Lange Zeit ging man in der Hirnforschung davon aus, dass die Nervenzellen diese Reihenfolge einfach „nachspielen“: Wenn man vier Bilder nacheinander sieht, sollten die Neuronen auch nacheinander feuern – quasi wie eine kleine Parade der Erinnerung. Doch genau das hat ein Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Bonn und Tübingen jetzt infrage gestellt. Man nutzte dabei eine besondere Möglichkeit: Bei Patientinnen und Patienten mit schwer behandelbarer Epilepsie werden zur genauen Diagnostik Elektroden ins Gehirn implantiert. So kann man nicht nur herausfinden, wo die Anfälle entstehen – man kann dabei auch ganz genau messen, wie einzelne Nervenzellen in bestimmten Hirnregionen arbeiten. Das Team um Prof. Florian Mormann und Dr. Stefanie Liebe konnte so beobachten, was im Gehirn passiert, wenn sich Menschen die Reihenfolge von Bildern merken müssen.

    Das Ergebnis: Die Neuronen feuerten zwar in einem bestimmten Rhythmus – im Takt sogenannter Theta-Oszillationen – und manche Zellen reagierten klar auf bestimmte Bilder. Aber sie taten das nicht in der Reihenfolge, in der die Bilder gezeigt wurden. Mit anderen Worten: Das Gehirn speichert die Reihenfolge der Dinge nicht einfach, indem es sie „eins nach dem anderen“ abspult.

    Um das besser zu verstehen, setzten die Forschenden künstliche Intelligenz ein. Ein Computer-Modell, das wie ein künstliches Gehirn funktioniert, wurde mit der gleichen Gedächtnisaufgabe trainiert. Überraschenderweise zeigte dieses Modell sehr ähnliche Aktivitätsmuster wie die echten Gehirne – auch hier gab es keine einfache lineare Abfolge der Zellantworten.

    Stattdessen fand man heraus, dass die Erinnerung an die Reihenfolge  durch ein Zusammenspiel verschiedener Prozesse entsteht – zum Beispiel, wann genau ein Bild gezeigt wurde, wie die Hirnwellen gerade schwingen und wie einzelne Zellen auf diese Rhythmen reagieren. Die Reihenfolge steckt also nicht in einer starren Abfolge, sondern in einem dynamischen, zeitlich abgestimmten Muster.

    Diese Studie verändert unser Verständnis davon, wie das Gehirn Erinnerungen organisiert. Und sie zeigt, wie viel wir durch die Verbindung von modernen Messmethoden und künstlicher Intelligenz über unser Denken und Erinnern lernen können. Die Erkenntnisse wurden im renommierten Fachjournal Nature Neuroscience veröffentlicht und könnten auch langfristig neue Wege für den Umgang mit Gedächtnisstörungen eröffnen.



    Literatur

    Liebe, S., Niediek, J., Pals, M., Reber, T. P., Faber, J., Boström, J., Elger, C. E., Macke, J. H., & Mormann, F. (2025). Phase of firing does not reflect temporal order in sequence memory of humans and recurrent neural networks. Nature Neuroscience, 28(4), 873–882.


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