Lange galt es als gesichert, dass sich das Gehirn nach dem Verlust einer Gliedmaße erheblich umorganisiert und die betroffenen Bereiche im somatosensorischen Cortex von benachbarten Regionen übernommen werden. Diese Annahme, die als Paradebeispiel für die Plastizität des menschlichen Gehirns in Lehrbüchern galt, wurde jüngst in Frage gestellt. Schone et al. (2025) untersuchten in einer über mehrere Jahre angelegten Studie drei Patientinnen und Patienten, die sich einer Armamputation unterziehen mussten. Vor dem Eingriff wurden mittels funktioneller Magnetresonanztomografie präzise Hirnkarten erstellt, die die Aktivitätsmuster beim Bewegen der Hand und angrenzender Körperbereiche dokumentierten. Auch nach der Amputation führten die Forschenden wiederholt Tests durch, bei denen die Probanden Bewegungen mit ihren „Phantomgliedern“ sowie mit Gesicht oder Lippen ausführen sollten. Es zeigte sich, dass selbst bis zu fünf Jahre nach der Amputation die Hirnscans weitgehend unveränderte Aktivitätsmuster zeigten, d. h., die neuronale Repräsentation der amputierten Hand blieb also bestehen, obwohl das Körperteil nicht mehr vorhanden war. Damit widerspricht die Studie der weit verbreiteten Vorstellung, dass die entsprechenden Hirnareale nach dem Verlust einer Gliedmaße zwangsläufig von benachbarten Körperregionen übernommen werden.
Die Ergebnisse könnten auch klinische Konsequenzen haben, denn so ließen sich möglicherweise neue Ansätze für die Entwicklung von Prothesen ableiten, die die persistente neuronale Repräsentation nutzen. Ebenso könnten die Befunde relevant für die Behandlung von Phantomschmerzen sein, da diese bislang oft auf vermeintliche Umstrukturierungen im Gehirn zurückgeführt wurden.
Literatur
Schone, H. R., Maimon-Mor, R. O., Kollamkulam, M., Szymanska, M. A., Gerrand, C., Woollard, A., Kang, N. V., Baker, C. I., & Makin, T. R. (2025). Stable cortical body maps before and after arm amputation. Nature Neuroscience. Advance online publication. https://doi.org/10.1038/s41593-025-02037-7
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