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Wie das KI-Modell Centaur menschliches Verhalten entschlüsseln kann

    Die Frage, ob Künstliche Intelligenz (KI) menschliches Verhalten vorhersagen kann, ist eine der zentralen Herausforderungen der aktuellen Forschung an der Schnittstelle zwischen Psychologie, Informatik und Ethik. Mit dem Sprachmodell Centaur haben Binz et al., (2025) einen vielversprechenden Schritt unternommen, um genau dieser Frage auf den Grund zu gehen. Das Modell wurde auf Grundlage eines offenen KI-Sprachmodells von Meta AI entwickelt und mit Daten aus insgesamt 160 psychologischen Experimenten trainiert, an denen über 60.000 Versuchspersonen teilgenommen hatten. Diese mussten in verschiedenen Szenarien Entscheidungen treffen – etwa beim Kategorisieren von Objekten oder in Glücksspielsituationen. Insgesamt flossen mehr als zehn Millionen einzelne Entscheidungen in das Trainingsmaterial ein.

    Ziel der Studie war es zu überprüfen, ob das Modell in der Lage ist, menschliches Entscheidungsverhalten vorherzusagen. In der Testphase, bei der zehn Prozent der Daten vom Modell nicht vorab gesehen wurden, zeigte Centaur eine beachtliche Prognosefähigkeit: In bis zu 64 Prozent der Fälle konnte das Modell die Entscheidung korrekt vorhersagen – selbst dann, wenn die Struktur der Aufgabenstellung leicht verändert wurde. Dies deutet auf eine bemerkenswerte Generalisierungsfähigkeit hin, ein Merkmal, das bisherige kognitive Modelle kaum erreichten.

    Besonders innovativ an diesem Vorgehen ist, dass die KI nicht lediglich auf numerischen oder bildgebenden Daten basiert, sondern auf sprachlich ausformulierten Beschreibungen von Experimenten und Entscheidungsprozessen. Das ermöglicht eine breitere Anwendbarkeit solcher Modelle, auch über die Verhaltenswissenschaften hinaus – etwa in Konsumverhalten, Bildungskontexten oder sogar im militärischen Bereich. Große Technologieunternehmen setzen längst ähnliche Modelle ein, um Präferenzen von Nutzerinnen und Nutzern etwa auf Plattformen wie TikTok oder im Online-Shopping vorherzusagen. Die Fähigkeit solcher Systeme, die Aufmerksamkeit und das Verhalten von Menschen zu steuern, ist daher bereits Realität – etwa durch algorithmisch kuratierte Inhalte, die Nutzer:innen möglichst lange an eine Plattform binden.

    Allerdings sollte man diese Ergebnisse nicht überinterpretieren, denn die zugrunde liegenden Experimente bilden nur einen sehr kleinen Ausschnitt menschlicher Kognition ab. Alltägliche und sozial komplexe Verhaltensweisen entziehen sich bislang noch weitgehend einer präzisen KI-Vorhersage. Zudem ist es fraglich, ob eine Vorhersagegenauigkeit von rund 64 Prozent tatsächlich als „gut“ gelten kann, insbesondere im Vergleich zur Erwartung, menschliches Verhalten vollständig und zuverlässig modellieren zu können.

    Auch ethische und gesellschaftspolitische Fragen stellen sich im Zuge dieser Entwicklungen, denn durch die tägliche Nutzung digitaler Technologien werden immer mehr Verhaltensdaten generiert, die wiederum zur Verbesserung solcher Modelle beitragen. Die Gefahr einer zunehmenden Vorhersagbarkeit und damit einer „digitalen Abhängigkeit“ ist daher real bis hin zu einer potenziellen „digitalen Versklavung“. Das macht es notwendig, nicht nur wissenschaftlich, sondern auch juristisch und politisch regulierend einzugreifen.



    Literatur

    Binz, M., Akata, E., Bethge, M., Brändle, F., Callaway, F., Coda-Forno, J., Dayan, P., Demircan, C., Eckstein, M. K., Éltető, N., Griffiths, T. L., Haridi, S., Jagadish, A. K., Ji-An, L., Kipnis, A., Kumar, S., Ludwig, T., Mathony, M., Mattar, M., Modirshanechi, A., Nath, S. S., Peterson, J. C., Rmus, M., Russek, E. M., Saanum, T., Schubert, J. A., Schulze Buschoff, L. M., Singhi, N., Sui, X., Thalmann, M., Theis, F. J., Truong, V., Udandarao, V., Voudouris, K., Wilson, R., Witte, K., Wu, S., Wulff, D. U., Xiong, H., & Schulz, E. (2025). A foundation model to predict and capture human cognition. Nature, doi:10.1038/s41586-025-09215-4


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