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Negative Erwartungen medizinischer Behandlungen beeinflussen die Wirkung stärker als positive

    Die Wirkung von Erwartungen auf medizinische Behandlungen ist ein seit Langem erforschtes, jedoch noch immer vielfach unterschätztes Phänomen. Während der Placeboeffekt – also die Verbesserung von Symptomen allein durch den Glauben an eine Behandlung – weitläufig bekannt ist, erfährt der sogenannte Noceboeffekt zunehmend Aufmerksamkeit. Dieser beschreibt die gegenteilige Wirkung: die Verschlechterung eines Zustandes allein durch negative Erwartungen oder Ängste. Aktuelle Forschung zeigt deutlich, dass negative Annahmen einen stärkeren und länger anhaltenden Einfluss auf das subjektive Erleben von Schmerzen und den Therapieerfolg haben als positive Erwartungen.

    Eine Studie von Kunkel et al. (2025) verdeutlicht dies in einem Experiment mit über 100 Probandinnen und Probanden, bei denen man gezielt die Erwartungshaltung gegenüber einem identischen Hitzereiz am Unterarm manipulierten. Die Teilnehmenden glaubten, eine elektrische Nervenstimulation (TENS) könne den Schmerz entweder verstärken oder lindern – tatsächlich handelte es sich jedoch um eine Scheinbehandlung. Trotz gleichbleibender Reizintensität führten negative Erwartungen zu einem signifikanten Anstieg der Schmerzempfindung um durchschnittlich elf Punkte auf einer Skala von 0 bis 100, während positive Erwartungen den Schmerz lediglich um etwa vier Punkte reduzierten. Auch eine Woche später hielten diese Effekte an – mit negativer Erwartung nahezu doppelt so stark wie mit positiver .

    Diese Ergebnisse belegen nicht nur die Wirkmächtigkeit von Placebo- und Noceboeffekten, sondern auch die evolutionäre Prägung menschlicher Wahrnehmung, denn das Gehirn scheint stärker auf potenzielle Bedrohungen als auf Hoffnung eingestellt zu sein, vermutlich ein Überbleibsel aus Zeiten, in denen das Überleben stark von der schnellen Reaktion auf Gefahren abhing. Für den medizinischen Alltag birgt dies jedoch erhebliche Herausforderungen, denn eine negative Kommunikation oder übermäßige Betonung möglicher Nebenwirkungen können den Therapieerfolg erheblich beeinträchtigen, selbst wenn die Behandlung an sich wirksam ist.

    Negative Erwartungen beeinflussen demnach nicht nur unser subjektives Schmerzempfinden erheblich stärker als positive – sie können den Effekt medizinischer Maßnahmen sogar vollständig untergraben. Die Kommunikation zwischen Arzt oder Ärztin und Patientin oder Patient ist deshalb kein rein informativer, sondern ein therapeutischer Akt, denn erst, wenn es gelingt, Vertrauen aufzubauen und realistische, aber hoffnungsvolle Erwartungen zu etablieren, kann dies den Erfolg einer Behandlung wesentlich unterstützen.



    Literatur

    Kunkel, A., Schmidt, K., Hartmann, H., Strietzel, T., Sperzel, J.-L., Wiech, K., & Bingel, U. (2025). Nocebo effects are stronger and more persistent than placebo effects in healthy individuals. eLife, 12, doi:10.7554/elife.105753.1


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